Donnerstag, 30. Juli 2009

Inflation im Gänsemarsch

Im letzten Jahrhundert verloren die Deutschen Bürger zweimal durch eine Inflation ihre Ersparnisse, und zwar in der 1923er und der 1948er Währungsreform. Aus Politik- und Finanzkreisen lautet zur Zeit das Credo, dass dies nicht wieder vorkommen wird. Angeblich, weil die Situation heute mit damals nicht zu vergleichen wäre.

Die Realitäten sehen jedoch weit düsterer aus. Und so vergleichen wir doch einfach mal die Zahlen der letzen Jahre seit 1881. Dazu nutze ich den Preisindex (Quelle) für Deutschland seit der deutschen Kaiserzeit, jeweils bezogen auf das relative Jahr 1881.


Schauen wir also erstmal auf die gute alte Zeit. Damals galt noch der direkte Goldstandard, entsprechend waren die Inflationsraten praktisch Null, das Geld so stabil wie nie mehr später. Erst mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Situation. Wegen der enormen Kriegslasten gab der Staat Staatsschuldverschreibungen (Kriegsanleihen) in großer Menge aus, der Goldstandard war damit passe. In Folge der Verschuldung stiegen die Preise deutlich an, da BIP und Geldmenge nicht mehr in Einklang standen.

Ganz heftig wurde es in der Nachkriegszeit: Das BIP lag am Boden und wurde zusätzlich mit gewaltigen Reparationszahlungen an die Kriegsgegner ausgewrungen. Dadurch entwickelte sich die Hyperinflation Anfang der Zwanziger Jahre. Zunächst mit kräftigen Zuwachsraten, zum Schluss explosionsartig innerhalb weniger Monate auf groteske Höhen. Der Index für das Jahr 1923 betrug zuletzt sagenhafte 42.956.894.182, also knapp 43 Milliarden. Die Kurve des obigen Diagramms würde bei normaler Bildschirmgröße also gut 20.000 km oberhalb ihres Rechners enden. Trotzdem hielt die Erste Republik den unhaltbaren Zustand bis zum absurden Ende im Oktober 1923 durch. Dann wurde neues Geld, die Rentenmark, ausgegeben.


Es folgten damit die „Goldenen Zwanziger“. Das Verhältnis BIP zu Aktiva/Passiva war wieder im Lot, wirtschaften lohnte erneut, die Weimarer Republik fasste langsam Fuß. Der Vorkriegsgoldstandard war nun durch einen Teilgoldstandard ersetzt, d.h. das Geld musste wenigstens zu einem bestimmten Prozentsatz in Gold hinterlegt sein. Ein Goldstandard hat allerdings einen unangenehmen Haken, denn da die Geldmenge, und damit auch das BIP, nicht unbegrenzt wachsen kann, wird das Wirtschaftswachstum ausgebremst.

Im Prinzip hätte jetzt alles gut werden können, wenn die 1929er Krise aus den USA nicht, bereits 6 Jahre später, der jungen Demokratie den zweiten, und tödlichen, Schlag versetzt hätte. Denn nach dem Krieg hatten besonders Amerikanische Investoren in die aufblühende Industrie Deutschlands investiert. Mit der Finanzkrise in den USA mussten diese nun viel Geld abschreiben, und zogen deshalb, um wieder liquide zu werden, die eigentlich guten Kredite und Investments in Deutschland wieder ab. Die Folge war die große Depression auch jetzt in Deutschland.


Ein gescheiterter Kunstmaler und Weltkriegsveteran aus Österreich, der schon die Wirren der 23er-Inflation für einen Putschversuch (8. November 1923) nutzte, wusste die neuerlich desolate Situation am besten den hilf- und ratlosen Demokraten in die Schuhe zu schieben. Deren Freunde aus der Industie- und Finanzwelt managten dann in 1933, zusammen mit dem überforderten Reichspräsidenten Hindenburg, die Kanzlerschaft von Adolf Hitler, und sägten der Demokratie den letzten verbliebenen Ast ab.

Wirtschaftlich ging die Rechnung aber zunächst tatsächlich auf. Einerseits startete Hitler mit seinen umfangreichen Bau- und Aufrüstungsprogrammen eine galoppierende schuldenfinanzierte Konjunktur, andererseits vergrößerte er aber auch den deutschen Wirtschaftsraum in entsprechendem Maße: Ab 1938 nahm das Reichsgebiet durch Annexion und Krieg erheblich zu. Die Preisentwicklung blieb entsprechend im Rahmen, die Kriegsanleihen, so zynisch wie es klingen mag, zahlten sich aus. Das änderte sich erst spät, denn erst ab 1944 traten erhebliche Gebietsverluste auf, die im totalen Kollaps von 1945 endeten.

Ab diesem Zeitpunkt gab es wieder, wie nach dem ersten Weltkrieg, keinen vernünftigen Zusammenhang mehr zwischen BIP und Aktiva/Passiva. Die Inflation der Reichsmark begann zu galoppieren. Man hatte allerdings aus 1923 gelernt, und ließ die absehbare Misere nicht bis ins groteske Weiterlaufen, sondern machte bereits 1948 die sowieso fällige Währungsreform mit der Einführung der DM. Eine Lehre, die heute längst wieder vergessen ist.

Andere Länder, insbesondere die Kolonial- und Weltmacht Großbritannien, hatten dagegen nicht das Glück einer solchen Reform. Deren Bürger blieben die Kriegsschulden, vor allem gegenüber den USA, erhalten. Die Briten verloren ihr Reich, die USA dagegen strotzten von nun an vor wirtschaftlicher und militärischer Kraft. Britannien blieb dagegen bis heute der Arme Mann Westeuropas, in den 70er Jahren war selbst der Lebensstandard in der DDR höher, als im ehemaligen Weltreich, in dem nie die Sonne unterging. Erst die Umstellung auf die, just katastrophal endende, Finanzmarktwirtschaft, verschaffte den Briten neuen Wohlstand. Deren Schuldenübernahme bringt die Briten nun erneut in die Bredouille.


Ab 1949 galt dann zunächst eine Mischung aus Dollar(Schulden) und Golddeckung. Die Preisentwicklung war moderat, aber deutlich erkennbar. Um die Wirtschaft von den letzten Fesseln zu befreien, wurde nun ein historisch ganz neues Experiment unternommen: In 1971 wurde auch der Teilgoldstandard vollständig aufgegeben, von nun an war das Geld nur noch durch Schuldtitel, egal aus welcher Quelle, gedeckt. Kreditinstitute erhielten ab nun Geld für jedweden Schuldtitel, egal ob er durch irgendwelche realen Werte gedeckt ist oder nicht. Das gleiche gilt von da an für die Staaten: Geld wird durch Herausgabe von Staatsanleihen geschaffen. Entsprechend sprunghaft war die Zunahme des Anstiegs der Teuerungsraten.


Die wirtschaftshistorische Gesamtschau ergibt sich nun, wenn man das Bild einmal im Zusammenhang betrachtet: Mit der Aufgabe des Deckungszwangs, und der Erzeugung von Geld durch Schulden, machen wir seit dem Zweiten Weltkrieg genau dass, was auch in den Kriegszeiten 1914-1918 und 1939-1945 gang und gäbe war. Geld wird durch Anleihen aller Art erzeugt, und die Wirtschaft muss nun in vergleichbaren Masse wachsen, nicht unbedingt durch Raub und Eroberungen wie im Zweiten Weltkrieg, sondern meist durch Expansion des Konsums um jeden Preis, um nicht endlich in die Hyperinflation abzugleiten.

Natürlich weiß jeder Wissenschaftler, dass so etwas nicht ewig gut gehen kann. Irgendwann sind die Grenzen des Wachstums erreicht, und dann muss das System kollabieren, sei es schroff durch Hyperinflation oder sachter durch eine vorsorgliche Währungsreform. Wie die Graphik erkennen lässt, haben wir einen guten Teil der 23er Inflation bereits im Gänsemarsch hinter uns gebracht, so langsam jedoch, dass das Gefühl für die Gefahr der Schuldenwirtschaft völlig verloren gegangen ist.

Man darf sich nicht durch kurzfristige Erholungen täuschen lassen, so etwa Haussen an den Börsen oder deflationären Tendenzen an der Preisfront. Das sind lediglich Symptome eines kritischen Prozesses, die tatsächliche Situation nähert sich dagegen weiter mit großen Schritten dem explosiven Teil der Geschichte.