Donnerstag, 17. September 2009

Weimar 2.0: Wer hat die Kraft?


Nun, welche Koalition wird in der nächsten Legislaturperiode die Republik verwalten? Von regieren wage ich nicht zu reden, denn wer auch immer, kann nur noch reagieren. Die Spielräume des Staates sind angesichts bereits zugegebener zusätzlicher Kredite von 500 Mrd. Euro für Bund, Länder und Gemeinden bis 2013 faktisch Null.

Nach den Umfragen wird es für eine schwarz-gelbe Koalition reichen. Einerseits könnte es schon in absoluten Zahlen langen. Andererseits wird die numerisch stark geschrumpfte Union zwar nur 35+ Prozente erreichen, aber gleichzeitig zweifellos die mit Abstand meisten Direktmandate erringen. Aufgrund dieses gegenläufigen Effektes wird es zu einer großen Anzahl von Überhangsmandaten gerade bei der CDU kommen. Nach kompetenten Rechnungen könnten daher sogar 46% der Stimmen für Union/FDP gegenüber 49% für SPD/Grüne/Linke schon ausreichen.

Trotzdem sollte man nicht sicher von schwarz-gelb ausgehen. Denn angenommen man erreicht trotz numerischer Unterlegenheit die Mehrzahl der Mandate, so ist man dann doch mit dem Nimbus der Verfassungswidrigkeit im Amt. Denn das Verfassungsgericht hat die Überhangsmandatsregelung als Grundgesetzwidrig eingestuft, aber die notwendige Änderung des Wahlgesetzes hat noch nicht stattgefunden. Selbst wenn es numerisch reicht: Zusammen mit der FDP kann Frau Merkel nicht davon ausgehen, dass sie in den extrem haarigen nächsten vier Jahren eine Mehrheit in beiden Kammern, Bundestag und Bundesrat, hat. Der zweifellos gewaltige Bedarf an Zustimmung zu den anstehenden Gesetzgebungsverfahren wäre damit wohl kaum gegeben.

Wenn die Wahlforscher doch etwas daneben liegen sollten, dann kämen noch verschiedene Ampeln in Betracht. Etwa Schwarz-Gelb-Grüne, kaum weniger wackelig aus Sicht von Frau Merkel, ehr schon ein Flohzirkus. Oder eben SPD-Grüne-Linke, was aber wegen der Vorfestlegung der SPD schon nicht möglich ist. Dann noch SPD-FDP-Grüne, was die FDP schon definitiv ausgeschlossen hat. Und beides wären natürlich auch Säcke voller Flöhe, bei dem insbesondere die SPD mittelfristig nur verlieren könnte.


Es lauert dagegen die Fortführung der großen Koalition. Der Vorteil liegt auf der Hand: Frau Merkel könnte mit einem eingespielten Team weitermachen. Dabei sind die ideologischen Unterschiede zwischen Steinmeier-SPD und Merkel-CDU weit geringer, sofern überhaupt vorhanden, als wie mit der neoliberalen FDP und ihren von der aktuellen Entwicklung längst überholten Rezepten der 80er-Jahre. Zudem kann man auf eine solide Mehrheit in beiden Häusern und breiter Zustimmung zu den gemeinsamen, und notwendig brutalen, Gesetzesvorhaben zählen.

Aus Sicht der reinen politischen Vernunft sollten Merkel und Steinmeier also wieder eine große Koalition anstreben, selbst wenn es für eine numerische Überlegenheit von CDU/CSU/FDP reicht. Vielleicht kalkuliert Merkels schwacher Wahlkampf gerade mit der Hoffnung, dass die schwarz-gelbe Mehrheit möglichst dünn ausfällt. Denn nur dann hat Sie alle Möglichkeiten und Entscheidungen in eigener Hand. Eine klare unzweideutige Mehrheit für schwarz-gelb würde ihr dagegen eine selbstständige Entscheidung entgegen dem FDP-Wunsch einiger CDU-Granden unmöglich machen.

Wer also ins Wettbüro gehen möchte: setzen Sie mal 55% ihres Einsatzes auf die große Koalition, 35% auf Union/Fdp und 10% auf eine der drei Ampel nach dem Wahltagballyhoo. Und entsprechend dürfen Sie auf den nächsten Kanzler/in ihren Obolus zu 94% auf Merkel und bestenfalls zu 6% auf Steinmeier setzen.

Nun, die Vorhersage des Wahlausgangs ist vergleichsweise leicht, schwieriger die Vorhersage was uns in der Legislaturperiode bis 2013 erwartet. Bei allem, außer der großen Koalition, ist kaum zu erwarten, dass dieselbe Regierung die sich im Oktober 2009 zusammen finden wird, in 2013 auch wieder zur Wahl antritt. Denn ab 2010 werden Rechnungen an den Wähler, vor allem an den Wähler aus dem deutschen Mittelstand, den Zahlmeister der Nation, gestellt werden. Und der reagiert empfindlicher als alle Anderen, er ist der schlafende politische Löwe, den man eigentlich nicht wecken darf.

Da wird man aber nun nicht mehr herum kommen. Denn das Steuer und Abgabenaufkommen wird von dieser, relativ wohlhabenden und politisch einflussreichen, aber numerisch erstaunlich geringen Mitte getragen. Schauen wir daher einmal auf die ungefähren Zahlen: Die Anzahl der offiziell Beschäftigten beträgt in Deutschland um die 40 Millionen. Da fehlen aber noch 43 Millionen bis zur Einwohnerzahl. Denn die „Arbeitslosenstatistik“ weist zur Zeit ja nur 3,5 Millionen Arbeitslose aus, was ist denn mit den anderen 39,5 Millionen?

Das Problem ist: Keine dieser Zahlen weist das tatsächliche Dilemma korrekt aus. So weist die gemeinhin „Arbeitslosenstatistik“ genannte Statistik lediglich die Anzahl der offiziell als Arbeit suchend eingestuften Mitbürger aus. Und die ist schon mächtig geschönt, so sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr Bürger aus diesen Zahlen heraus definiert worden, so etwa Leute die in ABM Maßnahmen sitzen, Menschen in Fortbildung, angeblich Unvermittelbare, etwa die über 55-jährigen usw. usf. Würde man dieselben statistischen Regeln wie in den 70er-Jahren anwenden, man läge weit über der neuralgischen 5 Millionen Grenze.

Was ist nun mit den 40 Millionen Beschäftigten? Auch das ist keine so aussagekräftige Zahl, wie man meinen möchte. Denn darin enthalten sind wirklich alle, vom 1-Euro-Teilzeit-Jobber über Arbeiter, Angestellte, Beamte und auch Selbstständige und Unternehmer. Und deren tatsächlicher Anteil an der Steuer und Abgabenlast differiert je nach Status ganz erheblich. Geringverdiener zahlen wegen mangelnder Leistungsfähigkeit und hoher Freibeträge praktisch nichts, Hochverdiener wegen der Bemessungsgrenzen relativ weniger in die Sozialabgaben, Beamte und Selbständige sind teilweise oder ganz von den Sozialabgaben befreit, Selbständige und Unternehmer haben zudem eine große Steuergestaltungsfreiheit.

Am schlimmsten trifft es die abhängig Vollzeitbeschäftigten mit einem Verdienst nahe an den Bemessungsgrenze der Sozialbeiträge. Denen wird schon bisher das Fell bis fast auf die Knochen abgezogen, so betragen deren Steuern- und Abgaben (insb. Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Solidaritätsbeitrag, Kirchensteuer...) vom Arbeitgeberbrutto (nicht das Arbeitnehmerbrutto! Die wirkliche Summe sieht kaum einer.) gemessen rund 60%. Da diese, meist Familienmenschen, zudem am Ende des Monats trotzdem einigermaßen blank sind, werden von den restlichen 40% noch mal rund 20% für Konsumsteuern (insb. die MWSt u.a.) kassiert. Summa summarum landen also rund 70% von deren Einkommen in allgemeinen Kassen. Das führt zu dem irren Effekt, dass in der Tatsache 75% der Staats- und Sozialkasseneinnahmen von nur gut 20% der Bevölkerung geleistet werden. 80% der Bevölkerung, eben das wachsende Heer der Beschäftigungslosen und Geringverdiener, insbesondere auch die mehr als 20 Millionen Rentner und Pensionäre, aber auch unfairerweise die wirklich Wohlhabenden, bekommen von Staat und Gesellschaft unterm Strich viel mehr raus, als sie aktuell einbezahlen.

Das war grundsätzlich zwar schon immer so, aber in aller Regel konnte sich der Mittelstand darauf verlassen, dass sie vom Wachstum des Gemeinwohls, und von den großen Kuchen die ganz oben gebacken werden, noch soviel netto ab bekam, dass es sich noch lohnte. Das wird nun anders werden. Schon seit der Jahrtausendwende ging die Rechnung nicht mehr so recht auf, jetzt geht es ans Eingemachte. Diejenigen die so richtig bluten müssen, dass sind in der Tat weniger als 20 Millionen, und allein die bereits zugegebenen 500 Mrd. Neuverschuldung bedeuten, das man jedem von diesen Mitmenschen effektiv 25.000 Euro bis 2013 abknöpfen muss. Oder wenigstens jährlich die Zinsen für dann rund 2000 Mrd. Schulden von Bund, Länder und Gemeinden, was noch schlimmer ist, denn das hört nie auf sondern nimmt jährlich noch zu.


Das wird sich zweifellos bitter rächen. Während am oberen Ende der Gesellschaft gigantische Reichtümer mit Milliarden locker zugesagten Steuergeldern staatlich gestützt werden, nehmen am unteren Ende dagegen Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut und in der Folge Kriminalität, Gewalt und Unsicherheit massiv zu. Der Mittelstand wird zur Kasse gebeten, bei sinkenden Nettoeinkünften, schwindenden Rücklagen, unsicheren Renten, stehen ihm andererseits immer weniger Leistungen des Staates gegenüber. An der Bushaltestelle riskiert er zusammengehauen zu werden, sein geliebtes Mittelklasseauto derweil sich auf Berliner Strassen in Rauchwölkchen auflöst unter dem Gejohle von jugendlichen Chaoten. Polizei und Justiz, die trotz zunehmendem Bedarf unter massiven Einsparungen leidet, kann dem aufkommenden Anarchismus dann immer weniger entgegensetzen.

Dem Staat bleibt derweil neben ständigen Erhöhungen der Steuern, Abgaben und Gebühren sowie dem Herunterfahren von öffentlichen Leistungen, nur die Aufnahme neuer Kredite oder schlicht das Drucken von frischem Geld. Allein die HRE wird in monatlichem Takt Milliardensummen fordern. Und das Problem der Leistungsbilanzunterschiede in der EU wird dramatisch zunehmen. Lediglich Deutschland, und in geringerem Maße die Niederlande, haben einen Überschuss auszuweisen, alle anderen, an der Spitze das bevölkerungsreiche Spanien, haben deftige Defizite, Spanien rund 10%. Da wird die BRD mit regelmäßigen Milliardenspritzen für die EU einstehen müssen, wenn man nicht einen Zusammenbruch der Währungs- und Wirtschaftsunion riskieren will. Das kann nicht ohne einhergehende Inflation gestemmt werden, die wiederum die Einkünfte und Rücklagen des Mittelstandes besonders bedrohen, denn wer keine oder sehr viele hat, den schmerzt das weniger. Die vor kurzem gesetzlich verankerte Schuldenbremse wird dagegen wenig tun. Sie ist sogar kontraproduktiv, denn wenn man sie ernst nimmt, dann wird der Handlungsspielraum des Staates aufs Sparen alleine reduziert. Im Klartext, aufgrund der verfahrenen Situation würde er dann völlig handlungsunfähig sein, was unterm Strich noch viel verheerender ist, als die im Effekt Schulden tilgende Inflation.


In der Folge wird sich die bürgerliche Mitte in zunehmenden Maße von den so genannten Volksparteien abwenden und zu einer Protesthaltung finden. „Wir sind das Volk“, hieß es vor 20 Jahren in der damaligen DDR. Und die Säulen der DDR-Gesellschaft kehrten dem abgewirtschafteten Staat scharenweise den Rücken. Während die DDR-Bürger aber noch eine demokratische, und kapitalistische, Alternative gleich wenige Meter hinter der Mauer hatten, fehlt diese in den nächsten Jahren. Und nicht ganz zu Unrecht werden viele ehemalige Wohlstandsbürger im Angesicht der ungerechten Verteilung der Lasten skandieren: „Wer hat uns verraten? Demokraten, Demokraten!“ und damit zu den radikalen Parteien am linken und vor allem zu dem, einfacher strukturierten, rechten Ende der Gesellschaft überlaufen.

International werden zudem weitere noch ungedachte Probleme auftauchen. Mit dem inflationieren des Dollars, aber auch des Euros und dem möglichen Entstehen einer asiatischen Weltwährung, werden sich mittelfristig Machtverhältnisse in der Welt verschieben. Denn Militärmacht ist in erster Linie Wirtschaftsmacht, da eine Armee die nicht mehr ausreichend finanziert wird, so zerfällt, wie es auch die Sowjetarmee tat. Ergo wird die westliche Ordnungsfunktion zunehmend durch eine östliche abgelöst werden, und damit werden sich die Verhältnisse, gerade für Europa grundlegend verändern. Denn die Gewichte, wen oder was man zu welchem Preise zu schützen bereit ist, werden sich kräftig verschieben.

Das ist die Hybris, die uns in den nächsten vier Jahren näher kommt. Beim besten Willen kann ich keinen Beneiden, der in dieser Situation den Auftrag bekommt, für uns die Kohlen aus dem Feuer zu hohlen, schon gar nicht mit einer schwachen Mehrheit. Er kann sich nur die Finger verbrennen. Insofern wäre es das beste, und auch gerechteste, wenn dieser Auftrag an die geht, die den Schlamassel angerichtet haben. Beziehungsweise die so unklug waren, sich die Rettung der Supervermögen von der Finanzwirtschaft als gemeine Staatsaufgabe aufschwatzen zu lassen.

Also denn, Mission: Impossible

„Guten Morgen, lieber Koalitionär. Die Mission ist die Sanierung des Finanz- und Wirtschaftsystems und die Rettung der Demokratie. Sollten Sie oder jemand aus Ihrer Regierung gefangen genommen, getötet oder sogar abgewählt werden, wird der Volkssouverän jegliche Kenntnis dieser Operation abstreiten. Dieses Blog wird sich in fünf Sekunden selbst vernichten. Viel Glück, Angela. Merkel, übernehmen Sie!“

Freitag, 4. September 2009

The Imperium strikes back: Warum die Krise gerade erst begonnen hat

Die Börse hat in den letzten Monaten rund 50% zugelegt, an der Wall Street träumt man von der 10.000er Marke, und Renditeziele von wenigstens 25% sind für den Deutsche Bank Chef Ackermann auch schon wieder im Fokus. An schmackhaften Boni labt man sich nach wie vor, ob 15 Millionen für 6 Monate erfolglose Sanierungsbemühungen oder von Bonus in Halteprämie umgetaufte Millionenstützen für arbeitswillige Investmentbanker, alles bleibt beim Alten.

Warum auch nicht, denn einmal abgesehen von schamloser Selbstbedienung, machen Sie natürlich genau dass, wofür sie da sind: Vermögen zu vermehren. Kaum vorzuwerfen also, dass sie ihren Job machen. Nur, wer soll dass alles bezahlen? Politik und Ökonomie drücken sich um eine klare Antwort. Der Wahlkampf ist, trotz oder gerade wegen der aufziehenden Götterdämmerung, so flach wie nie. Ob mit Busenplakaten oder einfach nur „Die Kanzlerin kommt“.

Was auf den ersten Blick recht menschelnd klingt und hier in Bonn plakatiert ist, heißt jedoch lediglich das die Kanzlerin auf dem Marktplatz spricht. Und das ist auch schon das ganze Programm, und man will und wird die Wahl damit bestreiten. Und gewinnen, versteht sich. Über die Wahrheit breitet man gepflegtes Schweigen: Union und FDP versprechen Wolkenkuckucksheime alla Steuer- und Abgabenerleichterung für Alle, seitens SPD, Grüne und Linke wagt man das bittere Ende dagegen anzudeuten, was wahltaktisch in der Vergangenheit noch immer ins Auge gegangen ist.

Dem Wähler schwant das da was faul, ja megafaul ist, nur was, das wird ihm auch vom genauso flachen Bildschirm vorenthalten: „Darauf angesprochen, ob man die Verursacher der Wirtschaftsmisere stärker zur Kasse bitten müsse, antwortete er mit der Frage: „Muss der Finanzmarktsektor nach der Krise nicht sehr viel stärker zur Finanzierung beitragen als wir uns dies jemals ausgedacht haben?“ Das klang dramatisch. Da hätte man gerne genauer gewusst, was Steinbrück vorschwebt. Doch leider: „Wir können das jetzt nicht vertiefen“, meinte der Moderator – und brachte das Problem der Sendung final auf den Punkt.“

Nun die Krise ist nicht vorbei, sie fängt gerade erst an. Denn es handelt sich in der Tat um eine echte Systemkrise und nicht um ein Börsengewitter. Letztere ist sowieso schon wieder ganz unruhig, denn auch dem härtesten Zocker schwant Böses angesichts der Tatsache, das Börsengewinnen von 50% auch beim besten Willen und Optimismus keine entsprechenden Zuwächse in der Realwirtschaft gegenüber stehen. Es handelt sich offensichtlich um reine Börsenonanie und so zittern die Kurse vor sich hin und der Goldpreis nagt wieder an der 1000 $ Marke.


Warum es eine Systemkrise ist, dazu muss man des Börsianer liebstes Kind, die Renditen, aus Makroökonomischer Sicht näher betrachten. Erste Graphik (durch Anklicken zu vergrößern) zeigt uns das bekannte Bild. Die Entwicklung der Aktiva/Passiva (Aktiva sind die aktiven Posten, d.h. Kredite, Derivate etc. pp. und Passiva die in gleicher Höhe entgegen stehenden Einlagen, ergo Vermögen. Die Aktiva/Passivabilanz ist dabei immer ausgeglichen) im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es handelt sich um die jeweils nominalen Werte und sind den offiziellen Statistiken der BRD entnommen für die Jahre von 1950 bis 2008.

Nun die Aktiva entsprechen den Vermögen, und die erste Ableitung nach der Zeit (Jahresbasis) dA/dt entsprechen den Zinsen, die zweite Ableitung d2A/dt2 dem Zinseszins. Für die exakten Werte der Zinsen müsste man zwar noch den Zu- und Abfluss von Kapital nach und aus dem Ausland berücksichtigen, aber diese Bilanz ist einigermaßen ausgeglichen und beeinträchtigt das Bild im Grundsatz nicht weiter. Die Vermögensschere zwischen BIP und Aktiva ist überdeutlich. Aber was bedeutet sie für das Wirtschaftsleben? Die Bedeutung liegt in der Zinskurve unten rechts, denn die wird ab Mitte der 80er-Jahre zu einer bedeutenden Belastung für das BIP.


Deutlich wird das, wenn wir uns den Gewinn, d.h. die Verzinsung, der Aktiva im Vergleich zum Gewinn des BIPs, das ist das Wirtschaftswachstum, anschauen. Die mittlere blaue Kurve ist das tatsächliche Wachstum des BIP (also die erste Ableitung dB/dt), die obere Kurve die Zinsen (dA/dt) und die untere Kurve die Zinseszinsen (d2A/dt2), jeweils in Milliarden nominaler Euros. Wir sehen: Bis Anfang der 70er Jahre lagen Gewinn aus Aktiva und Gewinn aus BIP nahe beieinander. Das ist gut so, denn dann sind die Vermögensgewinne aus BIP gedeckt und außerdem ist gewährleistet, dass sich Investitionen in Realwirtschaft für Kapitalbesitzer tatsächlich lohnen. Spätestens seit den 80er Jahren geht die Schere aber auseinander, die Zugewinne aus Aktiva liegen bereits oberhalb der Zugewinne aus BIP.

Das ist zunächst auch nicht tragisch, zwar ist eine direkte Deckung durch BIP nicht mehr gegeben, aber so lange die Aktiva nicht in Geld und Konsum verwandelt werden, nahezu bedeutungslos. Hauptsache bleibt, dass das BIP lediglich die Renditen hergibt, der Kapitalbesitzer somit zufrieden gestellt ist. Allerdings beginnt nun des Dramas dritter Akt: Aufgrund der Gewinnschere nimmt das Interesse zu, mit Geld Geld zu verdienen, statt mit den anstrengenden und weniger gewinnträchtigen Investitionen in die Realwirtschaft. Derivate und dergleichen nehmen entsprechend zu, die Gewinne aus Aktiva spreizen sich weiter vom Wachstum ab.

Der vierte Akt beginnt dann Ende der 80er Jahre: Nun beginnt sogar der notwendige Zinseszins regelmäßig das Wachstum zu überschreiten, das System wird nun instabil. Denn diese sind Ausdruck der angesammelten Altlasten, im Gegensatz zu kurzfristig rentablen Krediten an die Realwirtschaften sind sie Beleg für nicht zurückgezahlte, auch inzwischen nicht mehr rückzahlbare, Schulden. Und zwar öffentlicher wie privater, es macht keinen grundsätzlichen Unterschied. Die Zinskurve beginnt nun zu explodieren, die folgenden drei Riesenzacken sind DDR-Übernahme, DotCom-Krise und Subprimekrise, ein Ende nicht absehbar.


Zu guter Letzt damit noch einmal die Verhältniszahlen Vermögen/BIP, Zinsen/Wachstum, Zinseszins/Wachstum in der zeitlichen Entwicklung von 1950 bis 2008. Die 1-Linie bedeutet das alle Verhältniszahlen oberhalb prinzipiell ungünstig, die darunter günstig für das BIP-Wachstum sind. Das deutsche Wirtschaftswunder endet 1966, als auch das Aktiva/BIP-Verhältnis die rote Linie überschreitet. Der direkt folgende Zinsbuckel ist Ausdruck der Rezession1966/1967, die der damaligen CDU-Regierung den Kragen kostete und die erste Große Koalition unter Kiesinger(CDU) und Brandt(SPD) hervorbrachte. Die Zinsforderungen der Aktiva an das BIP forderten danach entsprechend auch oberhalb des Wachstums ihren Platz. Dramatisch wird es dann 1988, als bereits die Zinsezinsen das Wachstum überforderten. Mit der Gier im DotCom-Wahnsinn übersteigen die Aktivaforderungen in 1996 dann das Wachstum um mehr als das 10-fache, ein Unding das nicht gut enden konnte, der rapide Absturz folgte in 2000, um in der Subprimekrise wieder auf das fast 6-fache anzusteigen. Das System ist mittelfristig unhaltbar geworden.

Die violette Ausgleichsgerade zeigt uns des Pudels Kern, die Systemkrise, an: Die Renditenschere liegt in der Größenordnung des Aktiva/BIP-Verhältnisses und beträgt inzwischen knapp das 4-fache des Wachstums. Niemand braucht sich also zu wundern, dass in den Jahren nach der DotCom-Krise zwar die Gewinne um 61% zulegten, die Einkommen der Bürger aber nur um 4%. Nach Abzug der Abgabenerhöhungen und/oder der Leistungseinschränkungen seitens des Staates und der Sozialkassen, blieb dem Durchschnittsbürger also weniger als Nichts. Mit dem gewaltigen BIP-Einbruch in 2009 einerseits (in den Graphiken noch gar nicht enthalten) und den andererseits dagegen staatlich massiv gestützten Vermögen, verschärft sich diese Situation nun noch dramatisch.

In der kommenden Legislaturperiode werden dem Bürger Rechnungen präsentiert werden, das Zähneknirschen wird groß sein. Und das eigentliche Imperium, das die Finanzimperien nährt, wird zurück schlagen. Die letzten Finanzkrisen, die in Wirklichkeit Renditekrisen waren, sind schon Folgen des technischen Zurückschlagens des BIP. Demnächst kommt die menschliche Rückwirkung wenn der deutsche Mittelstand feststellen muss, dass den Milliarden und Billionen die staatlicherseits in 2009 bewegt wurden, und noch viele werden folgen, tatsächlich massive Forderungen und Nachteile an Ihn gegenüber stehen. Der Verteilungskampf zwischen Schaffenden und Vermögenden wird dann an Schärfe deutlich zunehmen.

Regierung und Ökonomen, insbesondere die zukünftigen Koalitionäre der FDP, sehen naiver Weise in einem „selbst tragender und nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung“ die Lösung des Problems. Demnach soll dieser dem Bürger Vollbeschäftigung, erneuten Wohlstandszuwachs und dem Staat die Begleichung, ja sogar die Tilgung, seiner Schulden ermöglichen. So glaubt man etwa sogar Steuersenkungen rechtfertigen zu können.

Nicht dergleichen wird geschehen. Zwar ist immer ein kurzfristiges Strohfeuer möglich, sei es durch Abwrackprämien zum Preise weiterer Verschuldung. Ein mittelfristiger, gar langfristiger, Ausweg ist es nicht. Denn selbst wenn die Vermögensbesitzer nur mit der, oft als lächerlich empfundenen, 5% Verzinsung ihrer Aktiva zufrieden wären, man benötigt inzwischen ein Wirtschaftswachstum von fast 20% um zu gewährleisten, dass für den Durchschnittsbürger unter dem Strich tatsächlich etwas übrig bleibt. Der Versuch ist so zum Scheitern verurteilt wie wenn man versuchte die Titanic mit der Kaffeetasse zu lenzen.

Der einzige Ausweg aus der Systemkrise ist, man muss es so deutlich sagen, auch wenn es brutal, gemein, unaussprechlich und absolut Gotteslästerlich klingt:

Die in den letzten Jahrzehnten angesammelten Vermögen müssen weg!

Und das möglichst schnell. Denn verloren sind sie sowieso, sei es nun kontrolliert durch eine unparitätische Währungsreform oder chaotisch durch eine Inflation von wenigstens 500%. Je länger es dauert, so verheerender werden jedoch die nicht mehr rückgängig zu machenden Auswirkung der Aufkäufe von Industrien, Patenten, Immobilien und sonstiger Sachwerte, durch nicht nur der internationalen Staatsfonds, sein. Denn wenn die erst das inflationäre Papier in solche Werte verwandelt haben, dann hilft uns weder Reform noch Chaos weiter. Dann ist der Laden ausverkauft und der Bürger muss sehen wo er bleibt, wenn nicht nur Mercedes und Porsche in China produzieren.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. So heißt es, aber leider hat man am oberen und entscheidenden Ende der Gesellschaft noch kaum die Erste Stufe davon erreicht. Und man darf bezweifeln, ob überhaupt der Wille besteht, es zu begreifen.

Wenn nun, nach dem postwahltaktischen Ballyhoo, die neue Egalwelche-Koalition die Bühne betritt, werden wir spätestens Anfang 2010 mit dem altbekannten „Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt, Wir müssen nun den Gürtel enger schnallen“ konfrontiert werden. Die Wahrheit aber ist, nicht Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, sondern Die da Oben haben über unsere Verhältnisse gelebt. Und auch nicht wirklich "Wir" sondern nur Wir da Unten, sollen und werden den Gürtel enger schnallen müssen.

Das dies tatsächlich eine Systemkrise ist, kann man sich auch anders leicht klar machen: Als in 2008 alles ins Wanken kam, waren es nicht plötzlich die Konsumenten, die nicht mehr bereit gewesen wären mehr zu konsumieren, waren es auch nicht die Industrien, die nicht mehr bereit gewesen wären mehr zu produzieren. Es waren die Finanzinstitute die, angesichts mangelnder Renditen und gestiegener Risiken und wegen der eigentlich notwendiger Vermögensabschreibungen, nicht mehr bereit waren weitere Kredite zu vergeben. Die Krise resultiert nicht aus Unvermögen des BIP sondern aus der ungesunden Verteilung der Ansprüche auf das BIP, ergo Vermögen.

Deswegen werden die kommenden Jahre spannend wie nie, denn es geht nicht mehr darum, die Kuh vom Eis zu kriegen, sondern darum die heilige Kuh zu schlachten. Und natürlich, ob es gelingt diesmal einen demokratischen Metzger dafür zu finden.