Donnerstag, 7. Januar 2010

Weimar 2.0: Die Ruhe am Strand


Weihnachten vor fünf Jahren. Touristen genießen in Phuket den frühen Morgen an den Stränden. Gegen acht Uhr zieht sich das Meer ungewöhnlicherweise um einige hundert Meter zurück. Das ungewöhnliche Phänomen lockt viele Menschen zum Meer hin, um die nun dort auf dem trockenen zappelnden Seekreaturen zu bewundern. Die meisten aber bleiben gelangweilt auf ihren Badedecken liegen. Nur ganz Wenigen ist dieses typische Vorzeichen einer kommenden Katastrophe bekannt, denn bei einem schweren Seebeben zieht sich häufig das Meer weit zurück bevor Minuten später eine umso gewaltigere Welle heranstürmt. Die aufgeklärten Beobachter treten die sofortige Flucht in höher gelegenes Gelände an und retten sich damit. Fünfzehn Minuten später beginnt für die Zurückgebliebenen das große Sterben: In den nächsten Minuten und Stunden kommen 231000 Menschen in den bis zu sechs aufeinander folgenden Flutwellen des Tsunamis, ausgelöst durch das Sumatra-Andamanen-Beben vom 26. Dezember 2004, um.

Die Time-Reporterin Ripley äußerte dazu in einem Interview: "Frage: Viele Opfer des Tsunami hätten überleben können, wenn sie die Warnsignale wie schnell zurückfließendes Wasser und unruhige Tiere richtig gedeutet hätten. Warum haben wir derart verlernt, unsere Umgebung zu verstehen? Ripley: Selbst in Gebieten, in denen es häufiger zu Katastrophen kommt, legen Hotels keine Warnhinweise in den Zimmern aus - weil sie die Gäste nicht mit so was belasten wollen. Wir leben immer verstreuter und schneller und verlieren das Wissen, das früher in der Gruppe weitergegeben wurde. Dazu kommt diese hässliche Angst vor Verantwortung. Gleichzeitig vertrauen wir immer mehr auf Technik. Wir warten also auf eine Meldung des Satellitenwarnsystems, während uns früher unsere Großeltern erzählt hätten, wie die Vorzeichen eines Tsunami aussehen und dass wir dann besser schnell auf einen Berg steigen sollten."

Nun, was hat diese kleine Geschichte mit der so genannten Finanzkrise zu tun? Es ist das, das die jetzige Situation bezüglich der Weltökonomie absolut vergleichbar ist der Situation der Menschen Weihnachten 2004 am Strand, an dem sich das Meer scheinbar unerklärlich weit zurückgezogen hat. Auch sind es wieder nur ganz wenige Ökonomen, die die Vorzeichen richtig einzuschätzen vermögen. Die Masse schaut gelangweilt zu, die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wollen ihre Klientel lieber nicht mit Warnhinweisen belasten, und man vertraut auf unsichere technische Hilfsmittel wie etwa die Börsenorakel und Unternehmensumfrageergebnisse. Die relative Idylle täuscht über die drohende Katastrophe hinweg. In der Tatsache rollt aber auf uns eine Finanztsunami zu, die die Katastrophe von 2004 noch weit in den Schatten stellen wird, auch und sogar im Hinblick auf die damit verbundenen weltweiten Zerstörungen und Todesopfer.

Übrigens dauert das Eintreffen einer Tsunami-Flutwelle zwischen etwa 5 und 45 Minuten nach dem zurückziehen der See, und so schwierig wie die für die Fluchtstrategie so wichtige Vorhersage am Strand ist, ist jetzt die Vorhersage, wann die eigentliche Finanztsunami einschlägt. Nur die Wahrscheinlichkeit, das sie kommen wird, ist praktisch hundertprozentig. Durch analytischen Vergleich mit den Finanzzusammenbrüchen des letzten Jahrhunderts kann man dazu etwas mehr sagen, das werde ich in einem meiner nächsten Blogbeiträgen vornehmen.

Schauen wir also derweil auf den freigelegten Seeboden und die darauf zappelnden Kreaturen. So schrieb der Spiegel kürzlich: "Es ist der Skandal des Jahres: Die Investment-Banker, die fast die Welt in den finanziellen Abgrund gerissen hätten, spielen wieder ihr Billionen-Monopoly. Wir erleben jetzt den Showdown zwischen einer globalen Geld-Oligarchie und der Politik..."

Genau das ist die Realität. Kurz nach dem Schock der Lehmann-Pleite waren weltweit Politiker zu Änderungen am viel zu freien Finanzhandel bereit. Doch außer viel Gerede ist nicht dabei herum gekommen. Ganz im Gegenteil wurde die Finanzwirtschaft, und vor allem die brandgefährliche Investmentsparte, von weiteren Fesseln befreit. Im Ergebnis des G20-Gipfels dürfen die Banken nun ihren wahren Finanzstatus noch undurchsichtiger gestalten als vorher, indem die eh schon schwachen Bilanzierungsvorschriften weiter entschärft wurden.

Weiter lesen wir: "... Wer solche Renditen erwirtschaften will, der braucht schon die ganz große Geldmaschine, das Investmentbanking - er braucht: Mega-Transaktionen mit Wertpapieren jedweder Art, den sogenannten Eigenhandel, also die Spekulation auf eigene Rechnung, Derivate, also die Kreation und den Verkauf abgeleiteter Wertpapiere. ...Sie sind wieder da, die Investmentbanker, die Masters of the Universe. ...Und zugleich der Skandal des Jahres, wenn nicht der ganzen Epoche."


Ausgerechnet die Profiteure des entfesselten Kapitalismus der Nach-Reagan-Zeit, die mit ihren Spielbankmethoden das Finanssystem völlig überdehnt haben, die dann die westlichen Demokratien dazu zwangen die Belastungen der längst vorhersehbaren Zusammenbrüche auf den Durchschnittsbürger abzuwälzen, die machen seit Monaten wieder genauso weiter wie vorher: "...Während die Realwirtschaft sich nur mühsam nach dem Tiefschlag der Finanzkrise aufrappelt und die Arbeitslosenzahlen allerorten weiter steigen, melden die großen Investmentbanken Rekordgewinne und verteilen fröhlich dicke Boni....Sie profitieren von dem Notenbankgeld, das es für sie praktisch zum Nulltarif gibt. Sie sind es, die all die Schuldscheine der Regierungen an die Investoren weiterreichen und satte Provisionen bei diesem Geschäft einstreichen. "Ich bin wirklich schockiert, wie wenig sich geändert hat", sagte kürzlich kein Geringerer als Ed Yardeni, der ehemalige Chefstratege im Investmentbanking der Deutschen Bank...."

Zu recht nannte Bundespräsident Köhler, selbst Bankfachmann, das Investmentbanking ein "Monster". Ein Monster, das die Politik selbst gezüchtet hat und von dem sie sich bis heute umschmeicheln lässt. Schlimm genug, aber schlimmer noch dass sich die westlichen Demokratien völlig unfähig zeigen, das Monster in den Griff zu bekommen: "...Dies sind Wochen einer historischen Weichenstellung. Es wird sich spätestens Anfang 2010 erweisen müssen, ob die Staaten und ihre Bürger tatsächlich hilflos einer global agierenden Finanz-Oligarchie ausgeliefert sind, wie es derzeit den Anschein hat."

Die Finanzindustrie zeigt natürlich keine Spur von Resignation, die Zeiten für Finanzhändler sind so rosig wie noch nie: "...Wir sind derzeit Zeuge, wie eine kleine Clique von Geldhändlern die Regierenden und die gewöhnlichen Steuerbürger regelrecht vorführt und verhöhnt. Dies seien "die profitabelsten Zeiten, die es jemals gegeben hat", sagt ohne jedes Zeichen von Scham Bill Winters, der Chef des Investmentbanking von J.P. Morgan.Lloyd Blankfein, der Chef der Über-Bank Goldman Sachs..."Ich bin bloß ein Banker, der Gottes Werk verrichtet.""

Und die Demokraten des Westens sind völlig überfordert, irgendetwas nachhaltiges daran zu ändern. "...Die Regierenden in London und Washington haben ihre Länder im vergangenen Jahrzehnt abhängig gemacht vom Wohlergehen der Geldbranche. Die Wall Street regiert schonseit langem in Washington mit. London ist nach New York das zweitgrößte Zentrum der Hochfinanz und will es bleiben; da darf man das Monster nicht mit allzu lästigen Auflagen verärgern. Und die Chinesen hoffen darauf, in jene Geschäfte einsteigen zu können, die im Westen nicht mehr möglich wären.". Und die Risiken des gewaltigen Vermögensüberhangs sind kein bisschen weniger geworden, im Gegenteil: ".. Die Risiken werden sogar noch größer. Zum einen, weil die großen Banken dank der Krise und dem Exitus mancher Konkurrenten noch größer geworden sind. Zum anderen, weil sich die Banker nach den Erfahrungen der vergangenen 14 Monate sicher sein können, dass der Staat sie im Falle eines Falles vor der Pleite bewahrt - und sie deswegen umso unverdrossener in die Risiken einsteigen..."


Diese unentwirrbare Verquickung von Politik und Finanzgewerbe wird mittelfristig in die Katastrophe münden. In Diktaturen hat uns solches Verhalten und das absehbare Ende noch nie verwundert. Aber ausgerechnet die westlichen Demokratien, auf deren Kräfte wir so stolz sind und waren, die zeigen sich genauso unfähig. Gespeist aus gierigen Finanzwirten, willfährigen Politikern, Gefälligkeitsökonomen, mangelhaft unbissigen Journalisten und irritierten, desinformierten und oft auch desinteressierten Bürgern. Vor allem ist es Letzterer, der die Zeche bezahlen soll und der sobald das, spätestens nach dem Fußballrausch des Sommers 2010, konkret wird, auch sprunghaftes Interesse zeigen wird. Und dann muss bald die Systemfrage gestellt werden: "...Es ist auch in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit ihren systemrelevanten Einkommensunterschieden nicht dauerhaft hinnehmbar, dass eine kleine Gruppe von Zeitgenossen Gewinne von geradezu obszönen Dimensionen einstreicht; eine Gruppe zumal, die kein eigenes Geld riskiert und keinerlei reale Werte schafft.Und noch unerträglicher ist es, dass uns diese Finanzaristokratie mit ihrem Billionen-Monopoly, wie derzeit allenthalben befürchtet wird, erneut in ein das System sprengende Bankendesaster treibt - dann allerdings eines, in dem die Regierungen gleich mit in die Zahlungsunfähigkeit rauschen würden, mangels weiterer Kreditwürdigkeit. ..."

US-Prasident Obama wehrt sich tapfer auf verlorenem Posten: "... "Ihr nehmt Boni von zehn, zwanzig Millionen Dollar in Anspruch, nachdem Amerika wirtschaftlich das schlimmste Jahr seit Jahrzehnten durchgemacht hat, und ihr habt das Problem verursacht." Gut gebrüllt. Aber die Entscheidungen trifft nicht der wohl gesonnene Präsident, sondern letztlich der Kongress. Und da sitzen dank Lobbyistenarbeit mehr Freunde als Gegner der Wall Street. ...". Eine Chance auf grundlegende Änderungen hat er nicht, zumal das Personal des US-Finanzministeriums und die engsten Finanzberater unmittelbar aus ehemaligen Managern des Investmentbankings, so etwa Goldmann-Sachs, rekrutieren. Und so fluten die Zentralbanken weiter das System mit kostenlosem Geld, das von den Finanzjongleuren ungeniert und unbehindert in ihr Schneeballsystem der wundersamen Geldvermehrung eingespeist wird. Allen voran die USA können damit gar nicht aufhören, wohl wissend dass, sobald man allzu heftig auf die kaum vorhandenen Bremsen tritt, der völlig überladene Karren umstürzen wird, um eine noch nie da gewesene Finanztsunami zu entfachen.

Unsere Demokratien stehen faktisch vor der bedingungslosen Kapitulation: "...Was derzeit bei den globalen Bemühungen um eine neue Finanzarchitektur passiert, ist die bevorstehende Kapitulation demokratischer Regierungen vor der Macht des Geldgewerbes. ..Das Zwillingspaar Demokratie und Marktwirtschaft, das sechs Jahrzehnte in der westlichen Welt so hervorragend funktioniert, das Freiheit und Wohlstand geschaffen hat - diese segensreiche Kombination versagt bei der Aufarbeitung der Finanzkrise. ..Die überfällige Zäsur, die Entmachtung des Investmentbanking, wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, ausbleiben. Wir dürfen weiter zusehen, wie sich eine kleine Schar von Geldhändlern auf das Unanständigste bereichert und das Wohlergehen von Milliarden Menschen aufs Spiel setzt..."

Zwar ist Deutschland bei weitem nicht so von den entfesselten Investmentbankern abhängig wie die USA oder Großbritannien, aber auch hierzulande wehrt sich kein Demokrat mehr wirklich ernsthaft. Der Idee einer Bonibesteuerung, sowieso nicht mehr als ein winziger Tropfen auf einem rot glühenden Stein, erteilte Finanzminister Schäuble eine klare Absage: „...Aus der SPD kam am Mittwoch auch deshalb prompt der Vorwurf, Schäuble gehe der Finanzbranche auf den Leim. Der Minister erklärte, die Bundesregierung diskutiere derzeit mit ihren internationalen Partnern, wie die Finanzbranche als Mitverursacher der aktuellen Krise an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligt werden kann. Zu den Konzepten gehöre auch eine international abgestimmte Finanztransaktionssteuer, sagte Schäuble. ...“

Außer Konzepten wird daraus aber nicht viel werden, zumal es das Grundproblem des Finanzüberhangs auch nicht löst. So was lässt sich nur im Alleingang machen, und es täte dem Standort Deutschland mittelfristig sogar besonders gut. Denn durch eine einseitige Besteuerung von Finanztransfers würde das überflüssige und schädliche Investmentbanking aus Deutschland raus und in andere kranke Ökonomien reingedrängt. Die könnten sich dann mit dem Problem rumschlagen, während unsere Banken sich wieder auf das gesunde, wenn auch scheinbar weniger profitable, Geschäft der Kredite mit der Realwirtschaft konzentrieren müsste.

Aber davon dürfen wir nur träumen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich werde ihn baldmöglichst freischalten. Diese Funktion dient lediglich der Vermeidung von Spam- und Flame- Kommentaren und dient niemals einer Zensur.