Montag, 8. Februar 2010

Dr. Seltsam oder wie der Iran lernte die Bombe zu lieben.


Hat er sie nun oder nicht? Die Bombe mit dem A? Zwar wäre der Iran nicht das erste Schwellenland mit der nuklearen Keule, aber eben ein weiteres im Pulverfass des nahen und mittleren Ostens. Grund genug für Nervösität: "...Erst warnt US-Senator Lieberman vor einem Militärschlag, nun legt Teheran nach. Das Regime kündigt an, gleich zehn neue Uran-Anreicherungsanlagen zu bauen – und Drohnen für Präzisionsangriffe..." schreibt der Focus. Nun, der Provokateur Ahmadinedschad kitzelt den Westen jedenfalls unentwegt, wobei allerdings Zweifel darüber angebracht sind, was denn die tatsächliche militärische Potenz des Irans ist. Jedenfalls wird die Landkarte der Atomstaaten und Möchtegerne-Atomstaaten immer umfangreicher. Denn es ist den Dr. Seltsams längst klar geworden, dass nur die Militärmächte ernst genommen werden, die über eine zweifelhafte Liebe zur Bombe verfügen.

Was die Bombe grundsätzlich angeht, so liegt es recht nahe, dass der Iran eine solche tatsächlich bauen kann. Denn spaltbares Material dürfte inzwischen genug für einige wenige Bomben vorhanden sein. Zudem ist die Zündung eines nuklearen Gadgets für einen einigermaßen entwickelten Industriestaat auch kein wirklich großes Problem. Technologisch kniffliger ist da schon, eine solche Bombe einsatzfähig zu machen. Denn in ihrer technisch einfachsten Weise produziert, sowie die US-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki, sind es riesige tonnenschwere Gebilde. Und die lassen sich nur mit Hilfe eines überschweren und langsamen Bomber ans Ziel bringen, der aber ein leichtes Opfer für die gegnerische Luftabwehr wäre. So ein Ding ist nur dann verwendbar, wenn man bereits die absolute Luftherrschaft inne hat und damit faktisch gar kein Gegner mehr da ist, der noch zu besiegen wäre. Angeblich sind dem Iran aber in letzter Zeit Baupläne zu gespielt worden, die ein kniffligeres und Raketen taugliches Kleinbaudesign ermöglichen.

Ein weiterer Staat mit dem nuklearen Spielzeug wäre ein vergleichsweise kleines Problem, wenn da nicht der Atomwaffenstaat Israel im Zielfokus läge. Und dass muss uns wirklich nervös machen. Denn im militärischen Machtspiel des nahen Ostens ist kein anderer Staat so sehr auf die, möglichst alleinige, Drohung mit Atomwaffen angewiesen wie Israel. Und im Gegensatz zum Irak, der niemals auch nur annähernd in die Nähe einer solchen Waffe kam, sieht das beim Iran schon bedrohlicher aus. Mit rund 75 Mill. Einwohnern hat er 10-mal mehr Menschen, verteilt über eine Landmasse 75-mal der von Israel mit einem Bruttoinlandsprodukt von reichlich mehr als dem Doppelten des israelischen BIP (383 Mrd. zu 162 Mrd. USD).

Auch ist der Iran wirtschaftlich und rohstofflich relativ autark, selbst seinen Uranbedarf kann es prinzipiell aus eigenen Minen decken. Dem gegenüber ist das kleine Israel massiv auf wirtschaftliche und militärische Unterstützung der USA und der EU bzw. Deutschlands angewiesen. Israel weist ein erhebliches Leistungsbilanzdefizit auf, dass nur durch die unterstützenden westlichen Nationen ausgeglichen werden kann. Die Staatsschulden, Israel Bonds genannt und nur durch US-Garantien haltbar und niedrig verzinst gemacht, würden sonst den Staat sehr schnell in die Knie zwingen.

Und das ist die eigentliche Achillesferse, die bald immer ungeschützter zu Tage treten wird. Denn die erheblichen und überlebenswichtigen Transfers in Form von Geld- und Sachleistungen könnten mit der fortschreitenden Finanz- und Wirtschaftskrise des Westens deutlich dünner werden. Auch ein weiterhin wirtschaftlich prosperierendes China wird für diese Leistungen kaum einspringen, denn Chinas Interesse liegt naturgemäß mehr bei den ölreichen arabischen Nachbarstaaten.

Der wichtigste, reichste und bestentwickelte Ölstaat ist Saudi-Arabien. Für arabische Verhältnisse einmalig (BIP 376 Mrd. USD, 15.500 pro Kopf), ist das BIP pro Kopf nicht weit entfernt von dem pro Kopf Einkommen der westlichen Israelis. Wirtschaftsmacht ist immer auch Militärmacht, und die saudische Armee gilt als die schlagkräftigste und modernste arabische Armee neben den Israelis, ihr jährliches Militärbudget übertrifft deren um mehr als das Dreifache.

Und, auch Saudi Arabien steht im Verdacht, an Kernwaffen zu arbeiten, was bislang aber zu keinen dringlichen westlichen Reaktionen geführt hat. „Der US-Militär- analytiker John Pike sagte dem Magazin: „Etwa die Hälfte der pakistanischen Nuklearwaffen hat saudische Codes, denn Saudi-Arabien hat schließlich das pakistanische Atomwaffenprogramm mitfinanziert.““ zitierte der Focus schon 2006. Saudi Arabien erwirtschaftet zudem, ganz wie China, Außenhandelsüberschüsse, vor allen Dingen mit den USA, und hat damit eine volkswirtschaftliche Abhängigkeit zum großen Bruder in Übersee wie China auch.

Genauso wie das postkommunistische China hat Saudi Arabien ein politisches Manko: Es ist weltweit eine der letzen absolutistischen Monarchien. Es kann sich daher ebenfalls nur durch massive Beschneidungen der Freiheiten seiner Bürger gegen einen drohenden Regimewechsel stemmen. Bricht nun das Weltfinanzsystem aber zusammen, so gerät automatisch auch das Regime in Saudi Arabien in den Abwärtsstrudel. Gerade wegen seiner starken islamischen Ausrichtung, das Rechtssystem etwa basiert wie im Iran auf der Scharia, könnte auch dort eine islamisch-arabische Revolution in Gang kommen. Und damit sähe sich Israel plötzlich zweier militärisch wirklich potenter Gegner, bei gleichzeitig auf der logistischen Seite schwer angeschlagenen eigenen Wehrkraft, gegenüber.

Wenn etwa US-Senator Lieberman jetzt vor einem Militärschlag warnt, er war nicht der Erste und wird auch nicht der Letzte bleiben, so sind es diese drohenden Umstände, die einen US-Angriff auf Iran in den Bereich des Möglichen rücken. Nicht so sehr die Atomwaffe an und für sich, und nach dem völlig sinnlosen Irakkrieg sollte man sowieso sehr vorsichtig mit der Bewertung angeblich sicherer Geheimdiensterkenntnisse sein, wird als casus belli gesehen, sondern die geopolitische Machtbalance, die nicht zu Ungunsten des Westens kippen soll.

Denn das wäre über kurz oder lang das Todesurteil für den Staat Israel, da darf man sich nicht viel vormachen. Denn explosiver als jede Bombe ist der Hass, gesät in jahrhunderte langer Kolonialisierung, Unterdrückung und Bevormundung der arabischen Welt durch den Westen. Die Wiederansiedlung des Staates Israel in Palästina nach jahrtausende langem Exil hat dort noch nie große Freude aufkommen lassen.

Israel musste sich in etlichen gewonnenen Kriegen gegen seine Nachbarn behaupten. Kriege in denen man gelernt hat, sich auf eine sicher geglaubte jederzeitige militärische Überlegenheit verlassen zu können. Dazu gehört auch die unterschwellige Drohung, im Falle eines dennoch Erfolg versprechenden arabischen Angriffes, als letzte Konsequenz mit Atomwaffen die Bevölkerungszentren der arabischen Halbinsel auszulöschen. Eine durchaus Ernst zu nehmende Drohung. Zumal durchsickerte, dass bei Übungen zu einem Angriff auf den Iran möglicherweise auch mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen zum Ausschalten tief liegender Bunkeranlagen trainiert wurde.

Zwar besitzt Israel hunderte einsatzfähiger Kernwaffen, weit mehr als einer seiner Nachbarn in absehbarer Zeit je besitzen könnte. Aber bereits ein oder zwei solcher Bomben auf dem kleinen israelischen Territorium gezündet, würden das Land praktisch unbewohnbar machen. Ein neuerlicher Exodus wäre kaum zu vermeiden.

Israel hätte die vergangene Generation nach dem Jom-Kippur-Krieg dafür verwenden müssen, einen tragbaren Frieden in der Region aufzubauen. Am einfachsten wäre das durch eine wirtschaftliche Angleichung der Lebensbedingungen und Assimilation zwischen besetzten Gebieten und den Israelis gegangen. Viel einfacher, als durch die Bildung zweier unabhängiger Staaten in Palästina, von der man heute so weit entfernt ist wie eh und je. Denn Liebe geht bekanntlich durch den Magen, und der ist in Gaza und im Westjordanland für die arabische Bevölkerung immer noch vergleichsweise leer.

Ob der Angriff auf den Iran nun kommt oder nicht, ist schwer zu sagen. Schließlich haben die USA mit Afghanistan und Irak schon zwei unseelige Kriege am Hals, die zu einer Stabilisierung weder in der einen noch der anderen Region wesentlich beigetragen haben, aber dafür jede Menge Ressourcen verschlingen. So musste die NATO deswegen letzte Woche bereits einen Finanzengpass eingestehen.

Angesichts einer US-Neuverschuldung auf Rekordniveau von 1600 Mrd. USD und einer nicht mehr rückfahrbaren Staatsverschuldung von bald 100%, Tendenz steigend, verliert der westliche Bizeps zunehmend an Kraft. „...Seit langem umwirbt die ehemalige republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin die Aktivisten, sie hat sie gar mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verglichen. In ihrer Rede in Nashville gibt sie den Zuhörern, was diese hören wollen. "Unseren Kindern die Schulden zu überlassen, das ist Raub an einer ganzen Generation", ruft Palin....“ schreibt der Spiegel.


Ein weiteres Fass auf zu machen ist da nicht wirklich ideal.
Zumal es den Hass weiter steigern würde ohne eine realistisch erscheinende Aussicht, die militärische Gefahr für Israel dauerhaft zu eliminieren. Das tödliche Gift dringt vielmehr schleichend durch die Hintertür ins Haus, über die löchrigen Tresortüren des weltweiten Finanzsystems.

Nuklearwaffen sind ein Problem, dass von den USA erfunden wurde, und auch nach dem Ende des kalten Krieges sind alleine dort noch tausende Sprengköpfe jederzeit Abschuss bereit um ggf. die komplette Welt ins Verderben zu stürzen. Ein Problem, dass dem Westen mit zunehmender Destabilisierung, eben gerade auch des Westens selbst, auf die Füße fallen kann. Genauso wie das Problem Israel, dass man dadurch schuf, dass man weltweit und nicht nur in Hitlerdeutschland, die jüdische Bevölkerung nach Palästina zurück expedierte, gegen den Willen der seit jahrtausenden dort lebenden Kultur. Ob dieses historischen Widersinnes dürften die Massenschlächter Hitler und Stalin in der Hölle jetzt Sektkorken knallen lassen.

Aber das Rad der Geschichte lässt sich nicht einfach zurück drehen. Die Verhältnisse sind wie sie sind, und in den Generalstäben der NATO spielen die obigen Überlegungen nun eine gewichtige Rolle. Gut möglich, dass man zu dem Schluss kommt, noch einen öffentlich kaum legitimierbaren Krieg führen zu müssen, um die vielleicht letzte Chance wahr zu nehmen und vorläufig etwas zu verhindern, was langfristig vielleicht doch nicht zu vermeiden ist.

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