Dienstag, 29. Juni 2010

Der Putsch von Bellevue

(Bildquelle: hier)

"Berlin - Christian Wulff oder Joachim Gauck? Auf diesen Zweikampf wird es an diesem Mittwoch hinauslaufen. Dann wählen 1244 Vertreter der Parteien in der Bundesversammlung den neuen Präsidenten, den zehnten in der Geschichte dieses Landes - und die Millionen anderen Bürger Deutschlands sehen zu, wie ohne ihr Zutun Horst Köhlers Nachfolger bestimmt wird, der sich immer als Bürger-Präsident verstand." schreibt heute der Spiegel.

Bei dem, leider nicht offenen, Wettkampf zwischen Wulff und Gauck wurde schnell vergessen, noch einmal nach zu haken, warum überhaupt diese merkwürdige, Geschichteträchtige und vorgezogene Bundespräsidentenwahl am morgigen Mittwoch ansteht. Ursache war der, nach wie vor undurchsichtige und scheinbar spontane, Rücktritt Horst Köhlers, der Merkel und Westerwelle den Krempel förmlich vor die Füße pfefferte. Angeblich die Folge einer etwas respektlosen Kritik der Opposition gegen seine etwas unvorsichtigen Äußerungen zum faktisch-politischen Hintergrund solcher Kriege wie in Afghanistan.

Nun ist Köhler zwar keiner der üblichen Politikveteranen im Präsidialpalast, aber sicher auch kein Weichei das bei der ersten heftigen Kritik gleich die Flinte ins Parlament wirft. Schon kurz nach seinem Rücktritt vermutete ich, dass da wohl ein anderer Grund wichtiger war: "Insbesondere Köhler hatte nicht mehr die Lust den Grüß-Gott-August für die Chaostruppe unter Merkel und Westerwelle zu spielen, dessen einzige Aufgabe darin besteht Gesetze am Rande der Verfassungmäßigkeit gleich reihenweise durch zu winken.". Er ist nicht mal der erste Bundespräsident der zurück trat. Schon Lübke tat es, allerdings aus gesundheitlichen Gründen und zu einem zeitlich großzügig geplanten Termin.

Köhlers Rücktritt war dagegen von völlig anderem Character: Sofort, fristlos, unangekündigt und der Kanzlerin nur Minuten davor auf den Tisch gepfeffert. Erstmals musste ein Übergangspräsident herangezogen werden, um das Amt nicht vakant zu lassen. Ein unerhörter Vorgang von einiger Tragweite, ein Vorgang den auch ein Nicht-Politprofi so niemals ohne ausreichenden Grund vornehmen würde. Der Ex-Weltbanker, und nach mehr als 5 Präsidentenjahren auch längst Politprofi, Horst Köhler tut so was schon garnicht. Nicht wegen ein paar läppischer Boulevardkommentare.

Ausgerechnet Vertreter der CSU, die zu meinem Erstaunen mit einer gewissen Regelmäßigkeit belieben, Regierungsloyalität liegen zu lassen und manchmal selbst die Linken noch auf dem Grünstreifen zu überholen, geben nun Pfeffer zu dem schwer genießbaren Hasen: "Gauweiler glaubt, dass es andere Gründe geben muss. Köhler sei ein erfahrener Mann, habe auch zuvor Kritik ausgehalten. Er fragt sich, ob nicht Köhler aus der Bundesregierung heraus unter Druck gesetzt wurde - nicht wegen des Interviews. Sondern in der bislang größten Herausforderung der Bundesrepublik - der Euro-Krise. ..Dreh- und Angelpunkt ist für Gauweiler das Tempo, mit dem der Euro-Rettungsschirm von bis zu 147,6 Milliarden Euro durch Bundestag und Bundesrat gebracht wurde. Das geschah an einem einzigen Tag, dem 21. Mai. Am selben Tag landete Köhler - am Ende seiner Afghanistan-Reise - erst spät in der Nacht in Berlin. Bereits am nächsten Tag, einem Samstag, unterzeichnete Köhler das Gesetz. Um 16 Uhr meldete dpa Vollzug. So schnell sei noch nie ein so wichtiges Vorhaben durchgebracht worden. "Von einer ernsthaften Prüfung kann doch keine Rede sein", sagt Gauweiler. In seinem Brief an Köhler fragt er denn auch: "Ist es wirklich wahr, dass Sie keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Prozedur hatten? Haben Sie aus freien Stücken in so ungewöhnlicher Eile das Gesetz unterschrieben und ausfertigen lassen?""

Auch Hans-Olaf Henkel, ehemals Chef des Bundesverbands der Industrie, pflichtet Hr. Gauweiler bei: Er hatte mit Köhler kurz nach der fraglichen Afghanistan-Reise gesprochen. "Anfang Juni hatte Henkel in der ARD-Talkrunde bei Sandra Maischberger gesessen. Es ging um Köhlers Rücktritt, Henkel sprach über das Zustandekommen des Euro-Rettungsschirms und sagte: "Da ist ja wirklich was passiert, man muss es ja fast einen Putsch nennen." Da sei das 148-Milliarden Programm "am Morgen durch den Bundestag, am Nachmittag durch den Bundesrat gejagt worden, und am nächsten Tag - vielleicht musste - der Bundespräsident das schon unterschreiben". Das, sagte Henkel, "wäre der einzig akzeptable Grund für einen Rücktritt"."

Selbstredend wird dieser offensichtliche Vorgang dementiert. So zitiert der Spiegel weitere Ungereimtheiten um Köhlers Rückkehr aus Afghanistan, die von Gauweilers Büro dokumentiert wurden: "Am 21. Mai, als Köhler noch in der Luft war, meldete die Nachrichtenagentur apn, Köhler habe das Gesetz bereits ausgefertigt und den Verkündungsauftrag für das Bundesgesetzblatt erteilt. Am Samstagmorgen jedoch - Köhler ist mittlerweile wieder in Berlin - bringt die Agentur eine Korrektur heraus: Köhler prüfe das Gesetz "doch noch". Zitiert wird ein Sprecher des Bundespräsidialamtes, wonach "versehentlich" bereits am Freitag eine Bestätigung verschickt worden sei. ...Was ist da in der Zwischenzeit geschehen? "Trifft es wirklich zu, dass sogar erwogen wurde, die Gesetzesurkunde zu Ihnen an den Flughafen zu bringen, um Sie gleich dort unterschreiben zu lassen?", fragt Gauweiler Köhler in seinem Brief....Er hat auch eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Drei kurze Fragen zum Rücktritt. Eine lautete: Ob die Bundesregierung den Bundespräsidenten "bedrängt oder gedrängt" habe, das Gesetz unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Afghanistan am Freitagabend zu unterzeichnen?"

Spannend also, ob sich Köhler irgendwann zu seinen wahren Beweggründen äußert oder lieber, vielleicht aus ehrlich empfundener Staatsräson, weiterhin den Nebel der Verschwiegenheit bevorzugt.

Nun steht also morgen die hastige Neuwahl an. Schnell war ein für die Regierungskoalition maximal bequemer Kandidat gefunden. Ein Politprofi und Parteisoldat dem man mehr Entgegenkommen bei den noch anstehenden Milliarden- und Billionenverschiebungen zu traut. Nicht nur peinlich, sondern regelrecht gefährlich wäre da der Gegenkandidat, Bürgerrechtler und Pfarrer Gauck. Nicht so leicht zu beugen und ein Demokrat, der die Demokratie nicht mit der Muttermilch aufgesaugt und längst verdaut hat, sondern einer der sich diese noch frisch und tapfer erarbeitet hat.

Sympathien fliegen ihm daher nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der Regierungskoalition zu. Theoretisch wäre sein Wahl möglich, denn im Gesetz zur Wahl des Bundespräsidenten besagt der Paragraph BPräsWahlG § 7: "Artikel 46, 47, 48 Abs. 2 des Grundgesetzes finden auf die Mitglieder der Bundesversammlung entsprechende Anwendung. Für Immunitätsangelegenheiten ist der Bundestag zuständig; die vom Bundestag oder seinem zuständigen Ausschuss erlassenen Regelungen in Immunitätsangelegenheiten gelten entsprechend. Die Mitglieder sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden." Und der referenzierte Grundgesetzartikel GG Artikel 46 besagt: "Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden."

Trotz dieser eindeutigen Rechtslage werden die Mitglieder der Bundesversammlung in Koalitionszwang genommen und faktisch an einer freien Entscheidung gehindert. Der ausgeübte Druck ist enorm, und ertappte Abweichler dürfen sich im Zweifelsfalle sicher sein, nie wieder bei ihrer Partei einen Fuss auf den Boden zu bekommen. Und damit letzlich immaterielle oder materielle Vorteile, ja sogar Einkommen und Pensionsansprüche zu riskieren. Auch wenn das offiziell in keinem Dokument so je formuliert wird, es ist eine Tatsache.

Das die Parteien den Kandidaten vorher bestimmen, eine seit den Fünfziger Jahren praktizierter Vorgang der noch nie schief ging, ist aufgrund des faktisch unausweichlichen Fraktionsdruck ein offener Verfassungsbruch, der leider noch nie zu ernsthaften Klagen vor dem Verfassungsgericht geführt hat. Der Verlauf und das Ergebnis der morgigen Abstimmung ist also auch ein Live-Test des Zustandes unserer Demokratie. Ob noch Hoffnung besteht oder ob der Putsch der Finanzoligarchie alternativlos ist.

"Alternativlos", das Wort werden sie noch öfters aus Berlin hören.

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