Donnerstag, 16. Juni 2011

Griechen, Geld, Gerechtigkeit?


Nun, die europäischen Milchmädchen sind wieder toll in Fahrt. Griechenland, so pleite und mausetot wie man nur sein kann, bekommt trotz aller berechtigten Bedenken weitere Finanzspritzen: „...Skeptiker befürchten jedoch, dass ein neuerliches Rettungspaket für Griechenland ein Fass ohne Boden werden könnte und damit nur Zeit vor einer unausweichlichen Umschuldung erkauft werde. In den Unionsparteien im Bundestag gibt es trotz Kritik jedoch Signale, dass sich die Fraktion am Ende auf breiter Ebene hinter weitere Griechenland-Hilfen stellen könnte. ...“. Eine erneute Geldspritze wird im zwei- bis dreistelligen Milliardenbereich liegen: „...Nach Angaben der französischen Finanzministerin Christine Lagarde ist der Umfang neuer Hilfen für das klamme Mittelmeerland noch völlig offen. Spekuliert wird bereits über eine Summe von 65 bis über 100 Milliarden Euro. ...“.

Druck übt natürlich der Internationale Währungsfonds aus, der sich letztlich nur den weltweiten Gläubigern, nicht nur Griechenlands, verpflichtet fühlt und nicht dem kleinen Steuerzahler: “... Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters ist der IWF nun aber bereit, die nächste Kredittranche freizugeben, sofern die EU sich grundsätzlich zu einem weiteren Rettungspaket für Griechenland bekennt. "Die Lage ist klar: Wenn es eine starke Verpflichtung der Europäer zur Unterstützung Griechenlands gibt, wird der IWF das Geld auszahlen", zitierte Reuters ranghohe Kreise der Euro-Zone. ..“.

Finanziert werden soll das ganze durch staatliche Sparmaßnahmen und erhöhte Abgaben und Steuern. Beides trifft natürlich praktisch nur den Durchschnittsgriechen, an eine Reichen- oder gar Vermögenssteuer in nennenswertem Umfang, die die geretteten Gläubiger belasten würde, daran denkt wie immer keiner ernsthaft.

Selbst der Vorstoß des Deutschen Finanzministers Schäuble, private Gläubiger mit zu belasten, stößt letztlich ins Leere. Denn erstens verlangt er nur eine Stundung der Schulden, aber keine Auflösung, und zweitens haben die privaten Banken, in typischer Solidarität mit den Schaffenden, längst ihre Griechenlandanleihen abgestoßen. Man fragt sich, wer kauft denen denn eigentlich den Schrott ab? Die Antwort ist einfach, und, wenig überraschend: Sie lieber Leser und Steuerzahler. Denn die europäische Zentralbank EZB, aber auch deutsche staatliche Institute, wie die HRE und die Landesbanken, haben das Zeugs angenommen. Warum? Weil sie müssen, denn wenn sie es als quasi-staatliche Institute nicht täten, dann wäre das Kartenhaus ja schon längst kollabiert. Selbst wenn die Europäer jetzt genau das Richtige täten, nämlich die Griechenpapiere zu Null verfallen ließen, es träfe bereits jetzt fast ausschließlich den kleinen Mann, vor allen Dingen auch den in der BRD.

Nun, das Begleichen von Schulden hat natürlich auch immer etwas mit dem Begriff der Gerechtigkeit zu tun. So halten wir es für selbstverständlich, dass ein Schuldner, sagen wir der Käufer eines Autos auf Kredit, die dafür aufgenommenen Schulden vertragsgemäß und inklusive Zinsen zurück zahlt. Denn dieser hat ja den Vorteil des Kredites, das Auto und seine vorzeitige Nutzung gehabt, und der Kreditgeber hat ein Recht auf seinen Lohn für dessen Bereitstellung.

Nur, was privat- und betriebswirtschaftlich ein klare Sache ist, ist es volkswirtschaftlich keineswegs. Denn die Vorteilsgenießer und der Zahlmeister von Krediten, insbesonders staatlichen, liegen volkswirtschaftlich gesehen diametral auseinander. Und das nicht nur örtlich (in Persona) , sondern obendrein auch noch zeitlich.

Und das hat mehrere Gründe:

Erstens ist auf Grund der reinen Schuldendeckung (Fiat-Money) der Vermögen ein gesamtwirtschaftlicher Schuldenabbau ohne gleich hohe Vermögensvernichtung völlig unmöglich.

Zweitens werden, wegen dem Vermögenserhalt, einmal gemachte Schulden (=Vermögen) ständig wieder recycelt. Ein Häuslebauerkredit des Jahres 1950 ist somit heute wenigstens zum dritten oder vierten mal erneut in der Abzahlung.

Drittens sind die volkswirtschaflichen Schulden zum Löwenanteil immer privater Natur. In der BRD liegt die offizielle Staatsverschuldung zwar bei zur Zeit bei dramatischen rund 90% bezüglich des BIP, aber bei nur gut 20% der Gesamtaktiva. Bei allen „Rettungs“- und Konjunkturpaketen müssten also 80% der Kosten den Kapitaleignern abverlangt werden und nur gute 20% dem Schaffenden. Tatsächlich werden bislang aber fast 100% dem BIP und den Abgaben- und Steuerzahlern angelastet. Der Staat kann letztlich gar nicht, bzw. kaum, sparen. Im Gegenteil muss er seine Ausgaben am Kapitalstock, und nicht am BIP, orientieren. Sachgerecht ist die Beibehaltung eine prozentualen Anteils, in der BRD also gut 20%, vom gesamten Kapitalstock.

Viertens gehen staatliche Ausgaben immer in die Volkswirtschaft hinein und dienen der Schaffung und dem Erhalt der Infrastruktur, sowie den vielen staatlichen Dienstleistungen, zu dem unter anderem gerade die rechtliche und praktische Sicherung des Eigentums der Besitzenden ganz fundamental gehört. Dies alles bildet aber erst die Voraussetzung für die Produktion von Waren und Dienstleistung, für Handel und Wandel. Und dies bildet wiederum erst die unabdingbare Voraussetzung für die Erschaffung der nunmehr gigantischen Vermögen. Da BIP regelmäßig verfällt, Vermögen jedoch nicht, sind es vor allen Dingen die Kapitalbesitzer, die den Vorteil, selbst längst vergangener, staatlicher Schulden konserviert haben.

Fünftens ist Geld immer nur ein Gutschein auf Waren und Dienstleistungen aus den BIP, einen eigenen Wert hat es nicht mehr. BIP verfällt aber recht schnell, ein Haus ist nach 35 Jahren abgeschrieben, ein Auto nach weniger als 10 Jahren, Lebensmittel schon nach wenigen Tagen, eine Dienstleistung verfällt sogar unmittelbar mit ihrer Erledigung. Der durchschnittliche Abschreibungszeitraum liegt in der Dienstleistungsgesellschaft der BRD bei deutlich unter 3 Jahren. Nicht so beim Geld, es hält von seiner Konzeption her ewig, und damit auch die im Fiat-Geldsystem entgegen gesetzt gleichen Schulden. Die Folge ist der Verlust des volkswirtschaftlichen Gleichgewichtes nach durchschnittlich 50 bis 100 Jahren, wenn die Renditeforderungen der aufgestapelten Vermögen (=Schulden) jedes noch mögliche Wachstums des BIP's übersteigen. Diesen Fall haben wir jetzt, 66 Jahre nach Kriegsende und damit der Stunde Null, in praktisch allen Volkswirtschaften der westlichen „ersten“ Welt.

Sechstens sind Diejenigen, die jetzt den Schulden(=Vermögens)-berg weiter bedienen sollen, weder Diejenigen die ihn aufgetürmt haben, noch sind sie Diejenigen die den Vorteil dieser Berge, nämlich den faktischen Anspruch auf die jährlichen Arbeitsergebnisse der jeweils aktuell Schaffenden, genießen. Da die zur zeitigen „Rettungspakete“ faktisch nichts anderes als die Übernahme privater in öffentliche Schulden sind, verschärfen diese daher die Situation vehement. Und sie stellen, wenn man den aufgenommenen Verpflichtungen und Garantien tatsächlich Folge leistet, nicht anderes dar, als eine Sippenhaft für die Kinder und Enkelkinder des Durchschnittsbürgers. Für Schulden, die sie nie selbst gemacht haben, noch je deren Vorteile genossen haben. Für Schulden, deren Pyramidenprinzip nicht nachhaltig ist sondern nach historisch kurzer Zeit zu einer totalen Unterdeckung der Vermögen führen muss.

Siebtens wäre sachlich gerechtfertigt ein Geldsystem, indem dieser Gutschein auf BIP im etwa gleichen Rhythmus verfällt, wie die durchschnittlichen Waren und Dienstleistungen des unterlegten BIP's auch. Nur dann wäre das Geldsystem nachhaltig.

Achtens liegt die Geldschöpfung seit Einführung des Fiat-Geldsystems praktisch in privater Hand bei den Geschäfts- und Investmentbanken. Ist es bei den Geschäftsbanken, die ihre Kredite in Investitions- und Konsum des BIP vergeben noch sinnfällig, so ist es beim Investmentbanking, das letztlich auf Wetten auf Finanzprodukte besteht und Geld aus Geld schöpft, völlig kontraproduktiv. Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzten, ist das solchermaßen sozialschädliche Investmentbanking inzwischen selbst in der BRD bald doppelt so stark wie das Feld der Geschäftsbanktätigkeit. Und andernorts sogar noch schlimmer.

Was nun in Griechenland passiert ist so grausam und typisch für die regelmäßig wiederkehrenden Finanzkatastrophen. Während die Kapitalverwalter und Besitzer erfolgreich um ihre faktische Abgabenfreiheit und dem Erhalt und weiterer Vergrößerung ihrer Vermögen kämpfen, wird der Werte-Schaffende mit massiv sinkenden Leistungen und drastischen Abgabenerhöhungen beglückt.

Und das wird von Demokraten als notwendiges Reformpaket mit der Aussicht auf Besserung durch baldiges Wirtschaftswachstum verkauft: „...Der Internationale Währungsfonds (IWF) dringt auf einen neuen Reformschub in Griechenland. Die schwankende politische Unterstützung der Sanierungspläne habe die Unsicherheit erhöht, kritisierte IWF-Vertreter Bob Traa am Dienstag auf einer Bankenkonferenz. ...Seit Ende 2010 habe die Dynamik des Reformprozesses aber nachgelassen. Griechenland stehe nun am Scheideweg. "Jetzt ist nicht die Zeit um nachzulassen", warnte Traa. Wenn die Regierung in Athen das Reformprogramm vollständig umsetze, würden IWF und EU das Land weiter unterstützen, stellte er in Aussicht.Zugleich machte Traa deutlich, dass der IWF das Szenario einer Umschuldung nicht favorisiert. ...“

Faktum ist aber, dass kein Wirtschaftswachstum die Schuldenpyramide beenden kann. Das liegt einfach daran, dass zum einen die inzwischen enorme Divergenz zwischen BIP und Kapitastock so nicht mehr aufhebbar ist, und prinzipiell auch daran, dass die Finanzwirtschaft immer nach real positivem Zins strebt, und der muss dann notwendigerweise auch immer etwas über dem BIP-Wachstum liegen. Zudem auch einem Milchmädchen eigentlich klar sein sollte, dass, selbst wenn alle illusorischen Sparmaßnahmen erfolgreich wären und Griechenland die erlaubte Defizitgrenze von (minus!) 3% einhalten würde, die Staatsschulden niemals sinken, sondern immer noch kräftig steigen würden.

Wenn die Griechen nun, letztlich für Ihre Freiheit, auf die Straße gehen, dann ist das nur folgerichtig. So folgerichtig wie in den Diktaturen Arabiens, wo man auch die Nase gestrichen voll hatte, voll genug um mit Pritschenwagen gegen Panzer zu kämpfen. Im Nichterkennen dieser Zwangsläufigkeiten, im Nichtwahrhabenwollen der Geschichte, die diesen dramatischen Verlauf immer wieder zeitigt, in der Feigheit und Willfährigkeit gerade auch der demokratischen Politiker gegenüber den Privatinteressen der gesellschaftlichen Elite, darin liegt das Versagen der Demokratie in solchen historischen Zeiten begründet. Ein Komplettversagen der Demokratie, die über kurz oder lang hier in den Zerfall nicht nur Griechenlands, sondern ganz Europas und der Etablierung von Diktaturen enden muss.

2 Kommentare:

  1. Steve Keen von der University of Western Sydney hat in einem FAZ-Interview Anfang 2010 folgendes als Kern der Finanzmarkt- und (nicht beendeten) Weltwirtschaftskrise bezeichnet:

    "Der Kern ist: Konventionelle ökonomische Theorien können nur sehr schlecht erklären, wie der Kapitalismus funktio¬niert. Folgt man ihren Thesen, so gerät man in tiefe Krisen. Versucht man die Krisen mit ihnen zu lösen, so findet man keinen Ausweg."

    (Quelle: http://www.faz.net/artikel/S31163/im-gespraech-steve-keen-wir-sind-in-der-groessten-finanzblase-aller-zeiten-30071516.html)

    Er hat damit m.E. völlig Recht. So gesehen müsste das Problem doch noch umfassender sein, als hier erklärt. Man kann das auch in Form einer aus Keens These abgeleiteten Frage verdeutlichen:

    Wenn die etablierten Ökonomen den Kapitalismus bzw. die Marktwirtschaft nur sehr unzureichend erklären können und eine Politik, die deren Rat befolgt, in tiefe Krisen mündet, wie sieht dann eine zutreffende Erklärung bzw. eine ökonomische Wirtschaftstheorie aus, die es uns dann eben auch ermöglichen könnte, die aktuelle Krise nachhaltig zu überwinden und künftige Krisen dieser Art zu vermeiden?

    Ist das unmöglich? Mit wettbewerbs- und marktheoretischen Fragen kenne ich mich ein wenig aus und deswegen denke ich, dass das möglich sein müsste. Allerdings wird das eine Abkehr von neokassischen (und auch vom Keynesianismus) Denkansatz erforderlich machen. Eine Modifikation führt nicht weiter, weil der Ansatz fundamentale Schwächen aufweist, die man guten Gewissens als Konstruktionsfehler bezeichnen kann. Man muss nicht alles neu erfinden, nein, das nicht. Aber man muss sich auf eine andere/neue ökonomietheoretische "Konstruktion" einlassen.

    Denn Lösungspfade eröffnen sich nicht selten erst dann, wenn man ein Problem aus einer anderen als der gewohnten Perspektive betrachtet. In diesem Sinne muss man jede andere Blickweise auf ein Problem freudig begrüßen. Leider sind wir davon aktuell weit entfernt und das wird ja auch hier sehr deutlich gemacht. Es gibt ein von Poltikern immer wieder gerne verwendetes Wort, dass das damit verbundene Dilemma verdeutlicht: "alternativlos"

    Grüße
    SLE

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  2. Ihre Meinungsäußerung gegen den Griechenland-Bailout teile ich natürlich voll und ganz; ich selbst opponiere bereits seit dem 20.09.2009 ("Lässt Klingklax sich klaglos beklauen ...?" http://beltwild.blogspot.com/2011/07/der-eigentrag-oder-der-zins-besteht.html) gegen die regierungsamtliche Veruntreuung unserer Steuergelder.

    Dennoch zwei Vorbehalte zu Ihren Ausführungen:

    "... wäre sachlich gerechtfertigt ein Geldsystem, indem dieser Gutschein auf BIP im etwa gleichen Rhythmus verfällt, wie die durchschnittlichen Waren und Dienstleistungen des unterlegten BIP's auch."

    Das würde freilich die Sachkapitalbesitzer begünstigen, die in gleicher Weise Zinsen kassieren wie die Geldkapitalbesitzer (für diesen Sachverhalt habe ich in einem gerade erstellten Posting den Begriff "Eigentrag" vorgeschlagen - http://beltwild.blogspot.com/2011/07/der-eigentrag-oder-der-zins-besteht.html).

    Meine favorisierte (aber leider nur theoretisch vorstellbare) Lösung wäre es, von Zeit zu Zeit alle Kapitalbesitzer in einem revolutionären Akt zu enteignen (http://beltwild.blogspot.com/2010/01/die-okonomie-der-artos-phagen-warum.html). Das ist freilich noch utopischer als Ihre Lösung.

    Eine weitere theoretische Alternative wäre es wohl, die Kapitalverzinsung über einen längeren Zeitraum im negativen Bereich zu halten (wie aktuell bei US-Anleihen).
    Fragt sich allerdings, welche Probleme uns daraus erwachsen würden, dass der Zins dann seine allokatorische Funktion als Knappheitsindikator wohl nicht mehr erfüllt.


    Wenn Sie sagen, dass die Griechen folgerichtig handeln und für ihre Freiheit auf die Straße gehen verkennen Sie m. E., dass G. auch jetzt noch ein Primärdefizit hat. Ökonomisch gesehen resultieren die Sparzwänge also nicht daraus, dass wir als Neugläubiger den Griechen böse Auflagen machen, sondern daraus, dass wir das Defizit, d. h. den nicht selbst erarbeiteten Teil des griechischen Lebensstandards, nicht mehr in gleichem Umfang finanzieren wollen wie das früher die privaten Kreditgeber (unbedacht) getan haben.
    Ich persönlich wäre zwar froh gewesen, wenn Papandreou gescheitert wäre: das hätte uns weitere Zahlungen erspart (oder zumindest unserer Polit-Konsensokratur die Begründung dafür verdammt schwierig gemacht).
    Aus griechischer Sicht wäre das freilich fatal gewesen, denn dann hätten die da unten ihre Gürtel von jetzt auf gleich noch weitaus enger schnallen müssen.

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