Dienstag, 22. Mai 2012

Futurologie: Doomsday's rising (III)


Die Vorhersage der Zukunft kann man in kurz-, mittel-, und langfristig unterteilen. Kurzfristig ist sie leicht vorhersehbar, denn die Handlungsalternativen sind begrenzt und die Wahrscheinlichste ist meist gut erkennbar. So etwa die im ersten Teil der doomsday-Reihe gemachte Vorhersage:In der EU versucht man nun händeringend den GAU-Fall zu vermeiden. .... Letztlich ist man in Brüssel sicher bereit, zur Rettung des status quo, am Ende alle Schulden und weiteren Kosten in nicht endend wollender Höhe aus Griechenland den anderen EU Bürgern anzudienen, denn ein tatsächliches Ausscheiden setzt mittelfristig eine Lawine in Gang.

Genau das wurde nun auf dem letzten G8-Treffen beschlossen, Griechenland „darf“ den Euro nicht verlassenDie wichtigsten Industriestaaten und Russland zeigen bei den von US-Präsident Barack Obama geführten Beratungen in Camp David Einigkeit: Unter anderem lehnen sie einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone ab.... Schön, im Klartext hat man, unter Ausschluss der Griechen versteht sich, beschlossen, das Griechenland notfalls zwangsernährt wird! Auch das war schon vor einem Jahr (22. Juni 2011) klar: „...Nun soll er in Kürze die erweiterten Sparprogramme durch boxen, die, zumindest offiziell, die Grundlage für weitere IWF und EU-Kredite sein sollen. Aber Gemach, egal wie die Abstimmungen in Athen noch ausgehen, das Geld werden die Griechen in jedem Falle bekommen. Denn es ist nicht so sehr Griechenland, sondern vielmehr Merkel und Sarkozy denen der verlängerte Rücken gründlich auf Grundeis geht. Selbst wenn Griechenland die Sparprogramme und sogar das Geld aus Brüssel ablehnen würde, die EU müsste notfalls die Griechen anflehen, dass Geld doch bitte zu nehmen. Notfalls würden Merkel und Sarkozy persönlich das Geld im großen Koffer ins Athener Parlament tragen.. Nun, genauso wird's kommen, sofern nicht ein politisches Wunder geschieht.

Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre seit 400 Jahrtausenden.
Der Neuzeitliche Anstieg ist nicht mit den langfristigen
Aktivitätsmustern zu vereinbaren.
Mittelfristig wird es mit der Vorhersage schon schwieriger, weil dann die Menge der möglichen Alternativen ansteigt. So haben die handfesten Zukunftsprognosen z.B. des Club of Rome natürlich immer eine gewisse Spannbreite. Gleichwohl sind solche Spannweiten sehr wohl begrenzt, und der Ernst der Lage wird nicht durch ein paar Jahre mehr oder weniger, oder ein paar richtige oder falsche irrelevante Details, entschärft. Wenn aber schon kurzfristig sichere, aber eben sehr unangenehme, Prognosen regelmäßig ignoriert werden, was erwartet man bei mittel- oder gar langfristigen Unangenehmen für eine Reaktion? „Keine“ wäre bereits schöngefärbt, denn es ist weniger als keine, sondern es ist heftige Ablehnung bis hin zu teuren Gefälligskeitsgegengutachten. So ist bekannt, dass die „alles wird gut“-Gutachten durchweg systematisch von der Energiewirtschaft gesponsort sind, ganze Institute nicht nur in den USA leben so von dem Geld der Ölgiganten. Die Standardbehauptung ist immer die Gleiche: Die Sonne sei schuld, nicht der Mensch.

Tatsächlich ist natürlich die Sonne als Energielieferant Quelle allen Lebens und Lebenserhaltes auf der Erde. Und sie wird wärmer. Allerdings sehr langsam und der exponentielle Anstieg der Klimagase und der Erwärmungvon Land und Meeren besonders in den wenigen Jahren seit 1950 kann damit aber nicht sinnvoll korreliert werden.

Was das langfristige Schicksal der Menschheit angeht, so setzt die Sonne hier allerdings klare Grenzen: Spätestens in 0,9 Milliarden Jahren (Abk.: gy = gigayear) wird es so heiß sein, dass menschliches Leben wie wir es heute kennen, nicht mehr möglich ist. Und nach knapp 2 gy dann sogar so heiß, das selbst die Ozeane verdampfen werden, und die Erde so aussehen wird, wie heute unser Schwesterplanet, die Venus. Glühend heiß, mit einer bleischweren und giftigen Atmosphäre beladen. Nun sind dies natürlich keine Zeiten, über die sich der Mensch wirklich Gedanken machen muss, es ist keine praktische, sondern eine philosophische Größe: Die heutige Menschheit wird aussterben. Sicher. Punkt.

So weit so gut. Aber es gibt wesentliche Argumente, die ein sehr viel früheres Aussterben der heutigen Population prognostizieren. So ist das entstehen und vergehen von Populationen in der irdischen Biosphäre kein seltenes, sondern ein regelmäßiges Phänomen. Selbst die biogene (so auch anthropogene) Veränderung der Atmosphäre ist kein neues Phänomen, sondern ein gut Bekanntes: Vor nur 0,65 gy lag der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre bei lausigen 3%, ein heutiger Mensch würde da nach einer halben Minute bewusstlos, nach drei Minuten tot sein. 

(Bildquelle: Wikipedia)

Erst die sogenannte „Sauerstoffkatastrophe“, ausgelöst durch Sauerstoff-produzierende Mikroben, führte nach längerer Zeit zu einer vorübergehend mehr als Verzehnfachung des Sauerstoffanteils. Damit einher ging eine völlige Umstellung des Lebens, die alten Lebensformen wurden durch diesen biogenen Sauerstoff vergiftet und quasi weg gerostet. Die heutige Atmosphäre hat sich erst seit dem Untergang der Dinos vor rund 0,06 gy eingestellt. Der heutige Mensch also ist eine Lebensform die sich, wie alle anderen auch, nur in einem gewissen begrenzten Zeitfenster austoben kann. Das wiederum begann mit den ersten Urmenschen vor etwa 0,003 gy. Allerdings würde man diese Kreatur heutzutage höchstens in den Zoo stecken und nicht in den Anzug eines Bankvorstandes. Der moderne intellektuell begabte Mensch jedenfalls, wie wir ihn heute noch haben, bereitete sich seinen Weg dann vor etwa 0,00003 gy, also vor etwa 30.000 Jahren. Und begann die Welt zu erobern und sich auszubreiten und zu vermehren. Erst nur geringfügig, dann immer zügiger, um dann vor nur 300 Jahren mit einer förmlichen Bevölkerungsdetonation den gesamten Planeten zu überfluten.

Weltbevölkerung 10.000 vor Chr. bis 2000 nach Chr.

Nun, alle exponentiellen, und hier besonders deutlich eine hyper-exponentielle, Entwicklungen haben in geschlossenen Systemen nie eine übermäßige Lebensdauer. Wann und wie heftig der unvermeidbare Absturz sein wird, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. In 30 Jahren, in 300, oder wie manche technokratischen Wolkenkuckucksheimpropheten glauben, gar erst in einigen Gigajahren? Nun man ahnt es, die Zeit ist kürzer als viele glauben. Die obere Graphik ist in 2012 nach oben hinaus bereits deutlich gesprengt worden. Denn es handelt sich nicht um eine Exponentialfunktion, sondern um einen ganz scharfen Peak. Und der hat immer zwei Seiten: eine Angenehme und eine Unangenehme, und beide sind genauso unangenehm scharf.


In einer Pressemitteilung der Stiftung Weltbevölkerung hieß es, das zum Jahreswechsel 2012 genau 7.013.992.000 Menschen auf der Erde lebten. Wie viele Menschen exakt auf der Erde leben, weiß aber niemand genau, denn einigermaßen verlässliche Volkszählungen sind nur in wenigen Ländern verfügbar. Selbst in der BRD kann niemand ehrlich die Hand dafür ins Feuer legen, ob es nun eine Million mehr oder weniger sind als angenommen. Man muss sich auf Hochrechnungen und Stichproben verlassen. Die Prognosen schwanken daher sehr stark, entscheidend ist nun mal die Gebärfreudigkeit gerade in den bevölkerungsstarken Ländern mit den schlechtesten verfügbaren Daten. 
UN Schätzungen der Weltbevölkerung nach verschiedenen Modellen. (Bildquelle: Wikipedia US)
Auf jeden Fall sind es jetzt schon viel zu viele: „Alle zwei Jahre gibt die Umweltstiftung WWF den "Living Planet Report" heraus. ...Das Ergebnis ist auch dieses Jahr wieder alles andere als hoffnungsvoll: Der Raubbau an der Natur geht unvermindert weiter, die Menschheit plündert die Ressourcen des Planeten. Steigende CO-Emissionen, die Zerstörung von Wäldern, die Verschwendung von Trinkwasser und die Überfischung der Meere machen der Erde zu schaffen. "Macht die Menschheit so weiter, benötigen wir bis zum Jahr 2030 zwei Planeten, um unseren Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken. Bis zum Jahr 2050 wären es knapp drei", sagt Eberhard Brandes, Vorstand des WWF....“.


Und dabei ist nicht nur die nicht mehr tolerierbare Umweltverschmutzung ein Riesenproblem, sondern besonders die Sicherung der Lebensmittelversorgung der wachsenden Weltbevölkerung. So drohte dem Bevölkerungswachstum bereits in den 50er und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Nahrung aus zugehen. Hungersnöte in Afrika und Asien rafften Abermillionen dahin. Weit wichtiger als Raum- und Mondflüge in dieser Zeit war eine technische Entwicklung in der Agrarwirtschaft: Die „Grüne Revolution“  : “...In Asien und Afrika kam es in den 1950er und 1960er Jahren wiederholt zu akuten Nahrungsmittelknappheiten. Die Ernährung der schnell wachsenden Bevölkerung wurde durch häufige Hungersnöte und Dürren erschwert. Pro Einwohner wurden in Asien 1961 194 kg Getreide produziert; in den Vereinigten Staaten 868 kg. Dies spiegelte sich im Ernährungsstatus der Bevölkerung. Die Lebenserwartung erreichte in Asien keine 50 Jahre und die Kindersterblichkeit war mit 125 bis 150 Toten pro 1000 Geburten sehr hoch. In Afrika lag die durchschnittliche Kalorienaufnahme bei 2089 kcal und die Kindersterblichkeit bei 100-300.“

Ohne die Einführung der modernen Intensivlandwirtschaft wäre die Welt bereits in den 70er-Jahren in eine Hungerkatastrophe geschlittert: „...Die Getreideproduktion Asiens insgesamt erhöhte sich von 385 Million Tonnen im Jahr 1965 auf über eine Milliarde Tonnen in 2005. Die Verdopplung der Bevölkerungszahl wurde durch den Produktionszuwachs übertroffen: Pro Kopf wurden 1965 207 kg Getreide produziert; 2005 trotzdem sogar 275 kg. Der Kalorienkonsum steigerte sich zwischen 1981 und 2003 um über 40 %. Auch waren Fortschritte bei Lebenserwartung und Kindersterblichkeit zu verzeichnen. Das Ausmaß der Unterernährung sank deutlich. Am stärksten war der Rückgang in Ost- und Südostasien (43 % auf 13 % zwischen 1969 und 1971 und 1996-1998); in Südasien immerhin von 38 % auf 23 %. In Afrika sank der Anteil hingegen kaum.....Die grüne Revolution wird trotz ihrer positiven Rolle in der Hunger- und Armutsbekämpfung aus mehreren Gründen kritisiert. Der wichtigste Kritikpunkt ist die Umweltbelastung durch starken Einsatz von Mineraldüngern, Pestiziden und Bewässerung.“.

Erträge pro Hektar 1950-2004
in Entwicklungsländern: "Green Revolution".
 (Bildquelle:  Wikipedia US)
Die Probleme damit sind bekannt, Nachhaltigkeit sieht anders aus. Jedoch bräuchten wir nun eine Green Revolution 2.0 um die Erträge noch einmal zu verdoppeln, wenn wir in der Mitte des Jahrhunderts den Nahrungsmittelkollaps vermeiden wollen. Denn wie die Graphik verdeutlicht, ist die Produktionsrate bereits wieder an ihrer technischen Grenze angelangt. Man könnte versuchen mit dem Einsatz genetisch völlig veränderter Pflanzen den Kollaps erneut zu entgehen, aber danach sieht es nicht aus. Denn das Ganze hängt am seidenen Faden der Energie und Finanzversorgung. Der gigantische Agrarkomplex hängt nämlich daran, das ausreichend billiges Öl vorhanden ist. Denn die dringend notwendigen Pestizide und Pflanzenmedikamente, als auch die Saatgüter, die Wasserversorgung und Reinigung, kann nur so auf einem ausreichenden Level gehalten werden.

Die Finanzkatastrophe, die dank freiem Kapitalverkehr und Globalisierung die ganze Welt nun erstmals komplett und gleichzeitig im Griff hat, tut ihr übriges: Erstens sorgt sie für eine zunehmende Ungleichverteilung, so exportieren gerade Länder wie Indien den größten Teil der Produktion in den reichen Westen, und zweitens fehlt im Investmentzeitalter das anteilige Geld in der Realwirtschaft, wo man es gerade jetzt für Green Revolution 2.0 bräuchte. Eine nochmalige gewaltige Steigerung der Produktion wäre nämlich nicht durch Bio-Gemüse für Alle, sondern nur durch rücksichtslose Durchsetzung genveränderter Pflanzen, die den doppelten Ertrag bei gleichzeitig deutlich geringerem Nährstoffverbrauch und deutlich erhöhter Schädlingsresistenz haben. Dazu fehlt nun das Geld und auch der politische Wille, denn so etwas ist gerade nicht opportun. Und Öl wird in Zukunft immer knapper und teurer, der Effekt unterm Strich ist, dass die Bevölkerungsentwicklung dem noch möglichen agrartechnischen Fortschritt davon eilt.

Und nichts ist so relevant für Aggressionen, Krieg und Völkerwanderung als die Verknappung der Ressourcen. Insbesondere wenn es nicht um Luxusgüter, sondern um Nahrung und Wasser, also um Leben oder Tod geht. Dieser Summeneffekt wird sich zur Mitte des Jahrhunderts dramatisch zuspitzen.

Freitag, 18. Mai 2012

Futurologie: Doomsday's rising (II)


Lässt sich eigentlich die Zukunft genauso gut vorhersagen wie die Vergangenheit? 99% der Leser werden vermutlich spontan mit „Nein“ antworten. Und überhaupt, Vergangenheit vorhersagen, das ist doch ein Widerspruch in sich!? Schließlich kann man die ja in Geschichtsbüchern leicht nachlesen. Nur, stimmt das wirklich?

Rein physikalisch gesehen gibt es zwischen Zukunft und Vergangenheit kaum einen erkennbaren Unterschied. Und gerade die Physik lebt ja von ihrer Fähigkeit, die Zukunft physikalischer Experimente sehr exakt vorhersagen zu können. Aber wie ist das in nicht technischen Wissenschaften? Im Prinzip auch nicht anders, denn die Fähigkeit einer Wissenschaft etwas wenigstens halbwegs verlässliches über die Zukunft auszusagen, entscheidet über Nutzen oder Nichtnutzen der jeweiligen Fakultät. So wie aktuell in der Ökonomie und ihrer Sinnkrise , die genau aus dem Fakt resultiert, dass die klassische Ökonomie weder die Krise voraussah, noch sich zur Zeit in der Lage sieht, sie zukünftig effektiv zu beheben. Selbst Vergangenheitswissenschaften, wie die historische Forschung, schöpfen ihren Wert keineswegs nur aus der Bewahrung des Wissens über die Vergangenheit, sondern im besonderen auch aus der Bedeutung des Vergangenen für unsere Zukunft. Nicht zuletzt aus der, leider oft trügerischen, Hoffnung, dass die Gegenwärtigen aus ihrer Vergangenheit für eine bessere Zukunft lernen könnten.

Aber nicht nur im physikalischen Experiment, sondern auch in der Historie wiederholt sich alles immer wieder in denselben, den gleichen oder den ganz ähnlichen Vorgängen. Finanzkrisen, und meist auch daraus folgende Revolutionen und Kriege, sind so häufig und so regelmäßig wie Sonnenfinsternisse. Und lassen sich auch genauso sicher vorhersagen, sofern man nur die Ursachen und Algorithmen dahinter erst mal verstanden hat.


Nun aber, wissen wir über die Vergangenheit tatsächlich soviel mehr als über die Zukunft? Überquellende Regale mit Geschichtsliteratur in jeder gut sortierten Bibliothek lassen diese Vermutung zur „Wahrheit“ gedeihen. Tatsächlich gilt hier aber dasselbe wie für die Zukunft: Je weiter ein Ereignisse von der Gegenwart entfernt ist, desto unsicherer und geringer werden die Informationen darüber. Das gilt selbst schon für die jüngere Vergangenheit, der absolute Löwenanteil der Information ist schon Tage danach nicht mehr wirklich recherchierbar. Über längere Zeit bleibt sowieso nur das, und soviel, erhalten, wie es im allgemeinen für wichtig erachtet wird. Gehen wir zurück in die Antike, so ist tatsächlich so gut wie nichts mehr erhalten, außer ein paar wenigen archäologischen und, mit viel Glück, ein paar literarischer Zeilen. Interpretierbar und bewertbar ja, aber die „Wahrheit“ bzgl. der Vergangenheit hat schnell genauso viele unsichere Gesichter wie die Zukunft auch. Und dabei beziehen wir uns nur auf das wirklich für wichtig erachtete zentrale Andenken. Das Andenken von 99,99999 % aller Individuen dagegen ist nach ein paar Generationen bereits genauso verloren, wie das der Kommenden unergründbar erscheint.

Zeit und der Fluss der Zeit ist ein sehr individuelles Erleben, sie ist sowohl eine physikalische als auch eine psychologische Ordnung innerhalb des sich Verändernden. Sie wird in der Richtung der sichereren Vorhersage als Vergangenheit, in der Richtung der etwas unsichereren Vorhersage dagegen als Zukunft erlebt: „Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung, Molekularbiologie und Psychologie legen den Schluss nahe, dass Wahrnehmung, Gedankenprozesse, Erinnerungen, Zeitgefühl und Bewusstsein im Menschen so eng miteinander verknüpft sind, dass sie im Erleben normalerweise nicht getrennt werden können. Die Zeit, Gedanken und das menschliche Bewusstsein erscheinen also nur gemeinsam. Die Vorstellung einer objektiven Zeit wäre dann nur die Vorstellung einer Identität, die auf Erinnerungen basiert und nach Sicherheit und Kontinuität strebt.“ Etwas einfacher, aber sehr treffend, formuliert es der christliche Philosoph Augustinus „Nach Augustinus sind Vergangenheit nur Erinnerungen und Zukunft nur Erwartungen in der Gegenwart. Wir könnten das Ewige [die Zeit] nur in der Erscheinungsform des Nacheinander erfassen.“

Das tatsächlich vorhandene Wissen über die Zukunft wird jedoch, im Gegensatz zum Vergangenen, im menschlichen Bewusstsein systematisch ausgeblendet. Das hat gute evolutionäre Gründe. So ist das Vergangene als Erfahrung wichtig, um aus Fehlern (den eigenen als auch anderer) zu lernen, um im Überlebenskampf besser dazustehen. Welchen Fehler hatte mein Bruder gemacht, als er plötzlich dem Bären gegenüber stand? Was mache ich besser, wenn es mir auch passiert? Das ist wichtig zu lernen. Genauso aber ist es wichtig beim nächsten Kampf eine absolute Sicherheit der Zukunft auszublenden: Den eigenen Tod. Wer diese Erkenntnis nicht ausblenden kann, ist beim nächsten Kampf auf Leben und Tod ein vor Angst gelähmtes „Häschen in der Grube“ und wird dann genau das erleben, was er eigentlich vermeiden wollte: Den Tod. Um überhaupt eine fifty-fifty-Chance zu haben muss man „tapfer“ kämpfen, was letztlich bedeutet, die ganz und gar nicht unwahrscheinliche fatal-finale Konsequenz auszublenden. Das hat sich bis heute nicht geändert, außer dass die tödliche Gefahr nicht mehr so häufig als Bär auftritt.

Die Vorhersage der Zukunft zu akzeptieren, dafür ist de facto der Mensch nicht programmiert. Seien es gefährlich explodierendes Bevölkerungswachstum, aufkeimende Kriege, Finanzkatastrophen, Klimawandel, alles wird solange vehement abgestritten, bis das Ereignis mit seinen fatalen Konsequenzen dann unabweisbar vor der Tür steht. Der Klimawandel ist ein schönes Beispiel dafür. Obwohl die anthropogene Ursache kaum zu übersehen ist, wird sie mit größter Vehemenz, nicht zuletzt in intensivem Streit unter Wissenschaftler, abgestritten. Und auch wenn die, durchaus nicht immer unberechtigten, Einwände unterm Strich äußerst dürftig sind: Jeder Wohlstandsmensch hört sie gerne, denn wenn alles doch gar nicht so schlimm ist, kann man ja ruhig weiter in Saus und Braus leben. Denn die fatale Konsequenz der Akzeptanz der damit verbundenen Vorhersage wäre, den Konsum und Lebensstil der Welt ganz allgemein und erheblich zurück fahren zu müssen. Ein Gedanke, fast so schlimm wie der vorzeitige Tod.

Wer also Futurologie betreibt, kann sich weitverbreiteter feindseliger Reaktionen sicher sein. Neben den unbequemen Klimatologen trifft es da auch immer wieder den bekannten „Club of Rome“, wo die Gegner gerne und reichlich genauso tief unter die wissenschaftliche Gürtellinie treten. Bereits 1972 erschien der erste Bericht und die zentralen Schlussfolgerungen des Berichtes waren: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Das Erreichen der Wachstumsgrenzen könnte zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität führen, wenn dadurch die Umwelt irreparabel zerstört oder die Rohstoffe weitgehend verbraucht würden. ...Die Zusammenbruchs-Szenarien wurden – unter anderem – mit der Dynamik eines exponentiellen Wachstums begründet. Der Bericht beschreibt daher im ersten Teil die Mathematik des exponentiellen Wachstums sehr ausführlich und allgemeinverständlich. Im Falle der Weltbevölkerung gab es um 1650 eine Verdoppelungszeit von 250 Jahren. 1970 betrug die Verdoppelungszeit der Weltbevölkerung aber nur noch 33 Jahre. Ein solches Wachstum nannten die Autoren „superexponentiell“. Die Aussagen des Berichts zur Weltbevölkerung im Jahr 2000 sind inzwischen überprüfbar. In diesem Jahr lebten mit 6 Milliarden Menschen annähernd genau soviele Menschen wie im Standardlauf des Weltmodells berücksichtigt wurden....Die Simulationsergebnisse der meisten Szenarien ergaben ein weitergehendes, zunächst unauffälliges Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum bis zu einer ziemlich jähen Umkehr der Tendenz vor dem Jahr 2100. Nur sofortige durchgreifende Maßnahmen zum Umweltschutz, zur Geburtenkontrolle, zur Begrenzung des Kapitalwachstums sowie technologische Maßnahmen änderten dieses Systemverhalten....Es zeigte sich, dass auch maximale Technologie keinen Systemzusammenbruch verhindert, sofern das Produktionskapital unbegrenzt weiter wachsen würde, weil selbst eine maximale Technologie die negativen Folgen dann nicht mehr kompensieren könne. ...Im Juni 2008 veröffentlichte Graham Turner von der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) eine Studie, in der er die historischen Daten für die Jahre von 1970 bis 2000 mit den Szenarien der ursprünglichen Studie von 1972 verglich. Er stellte eine große Übereinstimmung mit den Vorhersagen des Standardszenarios fest, das in einem globalen Kollaps in der Mitte des 21. Jahrhunderts resultiert.“(Q:Wp.).


Natürlich werden die Modelle ständig überprüft und auch mit den neuesten Daten gefüttert. Das Ergebnis bleibt bis auf Marginalien aber immer gleich: “...Im Jahr 2004 veröffentlichten die Autoren das 30-Jahre-Update. Darin brachten sie die verwendeten Daten auf den neuesten Stand, nahmen leichte Veränderungen an ihrem Computermodell World3 vor und errechneten anhand verschiedener Szenarien mögliche Entwicklungen ausgehend vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2100. In den meisten der errechneten Szenarien ergibt sich ein Überschreiten der Wachstumsgrenzen und ein anschließender Kollaps („overshoot and collapse“) bis spätestens 2100. Fortführung des „business as usual“ der letzten 30 Jahre führe zum Kollaps ab dem Jahr 2030.“. Nun, es ist natürlich wie beim eigenen Tod: Man kann sich leicht ausrechnen wann er im Durchschnitt kommen wird, ein Mann Mitte 50 darf sich nur um die 20 Jahre ausrechnen. Allerdings ist der genaue Zeitpunkt nicht exakt ermittelbar, das Ergebnis im Rahmen einer gewissen Schwankungsbreite aber sehr wohl. Trotzdem lehnen die meisten Menschen eine realistische Beschäftigung mit solchen Realitäten ab. Zwar hat man nach der Ölkrise von 1973 versucht einiges zu ändern, aber wie es schon immer mit den Menschen war, nachhaltig hat sich an seinem Charakter, und damit auch nichts an der grundsätzlichen Wachstumsideologie und Politik, natürlich nichts geändert. Die Kurve, die das verheerende und absehbare Endergebnis unseres Handelns am besten verdeutlicht, ist die obere blaue Linie: Das ist die weltweite Populationsgröße des Menschen.


Und die wird um die Mitte des Jahrhunderts irgendwo einen massiven Knick erleiden. Um es klar zu sagen: Sie werden sterben. Und zwar vorzeitig und massenhaft. Und da die wenigsten Menschen das wirklich freiwillig tun, wird es zu gigantischen Kriegen kommen, die den zweiten Weltkrieg als Marginalie der Geschichte erscheinen lassen werden.

Denn das besondere des begonnene Jahrhunderts, im Gegensatz zu allen Zeiten davor,  ist die  überproportional angewachsene, ja explodierte, Populationsstärke der Menschheit. Globale Finanzkrisen wie die jetzige gab es immer wieder, vom römischen Reich bis zum British Empire, was auch regelmäßig im Krieg endete und sich so „heilte“. Aber diesmal ist tatsächlich alles anders: die Probleme der nächsten Jahrzehnte des 21. Jhd. sind im Verhältnis zu früher nicht nur einfach die gleichen, sondern sie sind dazu absolut gigantomanisch geworden.

Ihre „Heilung“ ist nicht mehr die Frage von ein paar Millionen Kriegstoten. Sondern von Milliarden. Oder von einem plötzlichen Hagelsturm von Vernunft, die einem Manna-Regen gleich über die Menschen nieder gehen müsste.

Mittwoch, 16. Mai 2012

Futurologie: Doomsday's rising (I)


Die Wahlen der letzten Wochen haben eines gezeigt: Die arbeitende Bevölkerung ist in Europa nicht mehr so selbstverständlich bereit, sich für Schulden und Vermögen anderer Leute tot sparen zu lassen. Natürlich haben sie alle Recht damit, auch wenn den wenigsten wohl klar ist, warum. Frankreich hat gewählt, Sieger waren die Rechten unter Marine Le Pen die fast an die 20% Marke kam, was allerdings nicht zur Stichwahl reichte, die dann der Sozialist Hollande locker gegen Sarkozy gewann.

Hollande hat schon angekündigt, dass er nicht gedenkt, weiter nach Merkels Pfeife zu tanzen:Beim Abschreiten der Ehrenformation - gleich nachdem der neue französische Präsident am Berliner Kanzleramt angekommen ist - fängt die Kanzlerin schon an, ihn herumzudirigieren: Leicht, aber resolut schubst sie ihn zur Seite, weil sie laut Protokoll an der Außenseite des roten Teppichs laufen muss, er das aber nicht weiß - und erst keinen Platz macht...“. Naja, dann schaunmermal. In Griechenland kam es für die Europafans allerdings noch dicker, Griechenland ist nach dem Wahlergebnis praktisch aus dem Euro raus, denn lediglich die alte Nea Demokratia ist noch auf Kurs, Pasok humpelt, und die breite Mehrheit hat ganz links und ganz rechts gewählt. Keiner bekommt eine tragfähige Mehrheit zustande, und schon steht die nächste Neuwahl an. Das Ergebnis kann man sich in Brüssel ohne viel Phantasie schon ausmalen. Der BIP-totspar-Kurs ist megaout, und mittelfristig keine Chance mehr auf die Durchsetzung des Merkel EU-Plans der allgemeinen Austerität.

Den Griechen ist zu wünschen dass sie es schaffen sämtliche Altschulden loszuwerden, und per neuer Drachme, und zweifellos notwendigen Strukturreformen, wieder schnell auf die Beine zu kommen. Mit den Altschulden, egal ob mit oder ohne EU, ist das unmöglich. Natürlich wusste man das auch schon 2009, sofern man nur ein bisschen bei Prozentrechnung aufgepasst hatte. Trotzdem hat man hier schon ungeheures Geld versenkt. Welches aber ausschließlich bei den Banken angekommen ist, weit ab der schaffenden Basis. Mit dem anstehenden finalen Kollaps kommen dann noch mal „ungeahnte“ Summen auf EZB und Bundesrepublik zu und das ist noch lange nicht das letzte Säckel was uns da entgegen rollt.

Um das so wichtige „Vertrauen“ der Investoren nicht zu verlieren, wird man alle Kosten wieder großzügig sozialisieren müssen, via EFSF, ESM, EZB und endlich Bundeshaushalt. Aber wie immer wird es nicht reichen, denn dadurch werden die Probleme noch unlösbarer, ein Loch wird mit dem nächsten gestopft, und das übernächste reißt gleich wieder auf: Spanien, Italien, Portugal, um nur die bekanntesten zu nennen, denn außer in BRD, Niederlande und Finnland ist kein Land mehr in Sicht. Und diese letzten Mohikaner müssen sukzessive immer mehr schultern, bis sie denn auch kollabieren.

Das ganze ist unvermeidbar, weil die Mehrzahl der Ökonomen es bis heute ablehnt, alle privaten Vermögen und Schulden mit ins Kalkül zu ziehen. Und sich deshalb wundern, warum Spanien mit seiner eigentlich geringen Staatsverschuldung, mit um die 68% noch deutlich unterhalb der BRD, dem Kollaps nahe ist, während sich Länder wie Japan selbst mit 200% Staatsverschuldung gemessen am BIP so grade noch durchwursteln. Der Grund ist simpel, es kommt eben nicht alleine auf die öffentlichen Schulden an sondern auf die Gesamtsumme aller öffentlicher plus aller privater Schulden (sprich Vermögen). Und da sieht es inzwischen bei allen westlichen Ländern bitter dunkel aus. Mit Umschuldungen egal wie, lässt sich das nun mal nicht beheben, nur verschlimmern, wenn man aus privaten öffentliche Schulden macht.

Auch das war in 2009 schon leicht vorhersagbar. Genauso wie die nun überall aufkeimende politische Unruhe und Verwerfungen, denn die Schuldenkrise ist eben eine Verteilungskrise. Denn Geld, egal wann und wie es geschaffen wurde, ist immer Schuld eines anderen in gleicher Höhe, und es ist nichts anderes als ein staatlich verbürgter Gutschein auf aktuelles(!) BIP. Es ist wie bei einem Schnellrestaurant, bei dem der Chef in der Vergangenheit viel zu viele Gutscheine ohne Verfallsdatum an seine guten Freunde verteilt hat. Irgendwann stehen viel mehr Gutscheinbesitzer vor der Tür als man innen drin an Buletten schaffen kann und der Laden macht dann zwangsweise pleite. Es sei denn, man widerruft rechtzeitig die Gutscheine und verweigert die weitere Annahme. Oder man versucht die Belegschaft zu unbezahlten Überstunden ohne Ende und Bezahlung zu „überreden“. So einfach, und so brutal, ist das. Und die Austeritätspolitiker in der EU haben sich selbstredend für die zweite Möglichkeit entschieden, weil ihnen die Gutscheinbesitzer mehr am Herzen zu liegen scheinen, als ihre eigene Belegschaft. Die Völker der EU aber zeigen sich zunehmend „uneinsichtig“ für die „Notwendigkeit“ die Gutscheinbesitzer und dicken Freunde des Chefs zufrieden zu stellen.

In der EU versucht man nun händeringend den GAU-Fall zu vermeiden. Zwar wird jetzt mit den Folterwerkzeugen gedroht, und auch der EURO-Austritt in Erwägung gezogen, aber da müssen wir erst mal sehen. Letztlich ist man in Brüssel sicher bereit, zur Rettung des status quo, am Ende alle Schulden und weiteren Kosten in nicht endend wollender Höhe aus Griechenland den anderen EU Bürgern anzudienen, denn ein tatsächliches Ausscheiden setzt mittelfristig eine Lawine in Gang. Die nächsten Pleitekandidaten werden, und gar nicht zu Unrecht, die gleichen Privilegien fordern. Nämlich ebenfalls relativ schadlos aus der Renditensklaverei ausscheiden zu dürfen. Das Ende des Euros ist dann schnell unabwendbar, und die ganze EU steht in der Tat dann auf der Kippe. Denn die Verheerungen des Euro-Desasters fallen auf alle EU-Institutionen zurück, und das zunehmend böse Blut zwischen den Nationalstaaten wird sich nicht mehr einfach wegwischen lassen.

Von den Sprüchen, dass keine EURO Land ernsthaft in Pleitegefahr wäre bis zum tatsächlichen Bankrott Griechenlands vergingen keine zwei Jahre. Bis zum Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro wird wahrscheinlich weniger Zeit sein. Und danach wird es auch nicht vielmehr als zwei zusätzliche Jahre dauern, bis die Eurozone als ganzes am Ende ist. Und damit eines der dümmsten Politexperimente der europäischen Geschichte.

Freitag, 11. Mai 2012

Die Wahl der Qual: Currywürste, Heuchler, oder Anarchisten...


Die politische Landschaft Europas wird nun langsam umgekrempelt. Weg von etablierten „bürgerlichen“ Parteien, hin zu Parteien am linken und rechten, und sogar zu ziemlich undefinierbaren Rändern hin. Während die Etablierten Schulden und Rettungsprogramme für Banken und Superreiche rücksichtslos auf Kosten und Pump des steuerzahlenden Bürgers anhäufen, steigt natürlicher, und unterm Strich leider auch berechtigter, Weise die Zuneigungen zu mehr oder weniger radikalen Parteien an. Wobei das Attribut „radikal“ längst kein Privileg extremer Parteien, sondern inzwischen integrierter Bestandteil bürgerlicher Politik geworden ist. Obwohl man das dort feiner betitelt, so mit dem ökonomischen Begriff der Austeritätspolitik : „Der Begriff austerity wurde in dieser Bedeutung zuerst im Vereinigten Königreich während der Zeit des Zweiten Weltkriegs verwendet. Charakterisiert wurden damit die Sparmaßnahmen die eine ausgeglichene Zahlungsbilanz, Vollbeschäftigung und die Aufbringung ausreichender Mittel für die Kriegskosten erreichen sollten. England stand nach dem Ende des zweiten Weltkriegs am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Die Wirtschaftspolitik in den Jahren 1930 und 1931/32 während der Weltwirtschaftskrise gilt als eine Politik, die Austerität über alle anderen politischen Ziele stellte. Austeritätspolitik ...[ist ] problematisch, weil sie einerseits den Finanzmärkten glaubwürdig demonstrieren wolle, dass die Überschuldung zurückgeführt werden soll und damit die Rückzahlung von Krediten nicht gefährdet sei; anderseits bewirke sie selbst durch Kürzung der Staatsausgaben einen Rückgang des Wirtschaftswachstums. Eine IMF-Studie weist auf Bedenken gegenüber einer exzessiven Austeritätspolitik hin, da sie die Armen treffe und IMF-unterstützte Programme beeinträchtige. Paul Krugman kritisierte Empfehlungen der OECD, die in Richtung Austeritätspolitik gehen, obwohl sie durch deren eigene Prognosen nicht fundiert würden.“. Gerade schwarz-gelb im Bund steht für diese Politik, die einerseits den Finanzmärkten schier unglaubliche Summen in den nimmersatten Hals wirft, und, um dann die Zinsen dieser unbegrenzten Geschenke per Austeritätspolitik dem kleinen Mann aus der Tasche zu ziehen. Während Hilfstranchen für Finanzinstitute im zwei- und dreistelligen Milliardenbereich übernacht frei gegeben werden, ist beim Bürger strengste Sparsamkeit in allen Bereichen angesagt. Ein mehr als radikales Konzept, dass sich immer weniger der Gelackmeierten in ganz Europa für "dumm" verkaufen lassen.


Um so mehr hat man sich zuletzt auch in Frankreich und Griechenland zuletzt radikalen Parteien zugewandt, wo nur das besondere Mehrheitswahlrecht in Frankreich, und eine besondere Mehrheitsregel in Griechenland (pauschal plus 50 Abgeordnete für die stärkste Partei) vorläufig verhinderte, dass diese auch zum Zuge kamen. Dieser Trend wird sich sicherlich auch in der „kleinen Bundestagswahl“, der Landtagswahl in NRW am kommenden Wochenende fortsetzen. Die Wahl in Schleswig-Holstein zeigte auch schon diesen Trend. Während die CDU sich mit winzigem Vorsprung als stärkste Partei halten konnte, trotz fast 5% Verlusten und dem Umstand, dass selbst der Spitzenkandidat in seinem sicher geglaubten Wahlkreis abgewählt wurde und sich abstruser Weise deswegen als „Sieger“ sahen, konnten die Piraten mühelos in den Landtag einziehen. Und das obwohl bei denen eigentlich gar kein klares Konzept erkennbar ist, nicht so richtig links, nicht so richtig rechts, eigentlich überall und nirgendwo. Aber dem verzweifelten Wahlbürger ist gar kein Konzept inzwischen bald lieber als die zum Scheitern verurteilten Konzepte a la bürgerlich-europäischer Verschwendungsorgien auf der fetten, und Austeritätsdrangsalierung auf der schmalen Seite.

Dem entsprechend dumm, dreist oder eben dummdreist sind die Wahlkampfslogans der bürgerlichen Parteien. Immerhin ganz witzig und der Wahrheit ja gar nicht so fern, war der SPD Slogan „Wir sind Currywurst...“, dummdreiste Heuchelei dagegen Röttgens Slogan „Verantwortung statt Verschuldung“ auf der Gegenseite des Möchtegarnichtgerne-Ministerpräsidenten der CDU. Oder auch „Solide Finanzen statt teurer Versprechen“ bei Lindner's FDP, eine nur leicht umformulierte und genauso hirnerweichende Heuchelphrase orientiert am designierten Koalitionspartner CDU. „NRW im Herzen, Leerlauf im Hirn“ titulierte treffend der Kölner-Stadtanzeiger nur zu Recht.

Denn allein die offizielle Staatsverschuldung hat in der Regierungszeit Merkels, von Ende 2005 bis Anfang 2012, von 1580 auf rund 2095 Mrd. € zugenommen. Und das ist nur die offizielle Zahl wobei die ungeheuren noch versteckten Schulden aus europäischen Verpflichtungen, Krediten und Garantien überhaupt noch nicht eingerechnet sind. Mehr als 500 Mrd. € zusätzliche offizielle Schulden alleine unter der Verantwortung von Merkel, und auch von Spitzenkandidat Norbert Röttgen und Christian Lindner in NRW nun. Natürlich lässt sich, wie bei jedem Bundeskanzler in der Geschichte der BRD trefflich darüber streiten, warum und wieso man nicht anders konnte oder wollte oder was auch immer, schließlich hat noch kein einziger in seiner Amtszeit an dem Dilemma der steigenden Staatsverschuldung je etwas ändern können, aber es ist nun mal eine unumstößliche Tatsache, dass Merkel und ihre Partei die größte Schuldenlawine aller Zeiten, sowohl absolut als auch relativ, zu verantworten haben.

Trotzdem ist man der Meinung, dass der Wahlbürger schon „doof“ genug ist, diese, die Tatsachen dreist auf den Kopf stellenden Slogans in NRW, zu schlucken. Erinnern wir in diesem Zusammenhang ruhig noch einmal an die aktuellen Target2-Kredite: Die sind von Jahresbeginn bei gut 498 Mrd. auf nun astronomische knapp 645 Mrd. € hochgeschnellt. Alles ungefragte Kredite an die Südländer, die diese sich genehmigungsfrei, unbegrenzt und zeitlich unlimitiert aus der Bundesbankkasse greifen können. Zu einem lächerlichen Zinssatz von 1%. Für diese Kredite (Langläufer, unbegrenzt!) müssten sie aber auf den Finanzmärkten deutlich über 5% zahlen. Mindestens, und keineswegs zu Unrecht. Denn der international übliche Zinssatz kalkuliert die vermutlichen Ausfallkosten eben ein. Nicht so die BRD und ihre verantwortliche politische Spitze, die verschenkt das Geld, das mit absoluter Sicherheit nie in dieser Höhe zurück kommen wird (insbesondere Spanien und Italien haben sich in den letzten Monaten mit jeweils über 270 Mrd.€ selbst bedient). Die Verluste werden dramatisch sein. Aber wen schert's heute, insbesondere weil bis dahin sind ja eh „die Anderen“ dran, und seien es nur die Piraten oder die depperte SPD, und denen kann man dass ja dann problemlos wieder in die Schuhe schieben.

So zeigt eine repräsentative Befragung des Berliner Meinungsforschungsinstituts Info im Auftrag von Handelsblatt Online: “...CDU und FDP legen demnach im Endspurt vor der Wahl in der Wählergunst am deutlichsten zu. Im Vergleich zum Vormonat gewinnt die Union 4 Prozent und landet jetzt bei 33 Prozent. Die FDP springt von 3 auf 5 Prozent.. Auch wenn man zur Zeit, aus rein makroökonomischer Sicht nur die sprichwörtliche Wahl zwischen Teufel und Beelzebub hat, so bewahrheitet sich auch wieder der platte Spruch „Dummheit siegt“, oder besser ergänzt um „Dummdreist ist sogar noch viel effektiver.“.

Natürlich muss man genauso hinterfragen ob der Kraft-Kurs der SPD, einer zumindest moderaten weiteren Neuverschuldung, nachhaltig sein kann. Die Antwort ist natürlich auch hier Nein. Denn die weiter eskalierende Finanzkrise beinhaltet ein Grunddilemma, das prinzipiell nicht schmerzfrei lösbar ist. Aber immerhin geht weitere Staatsverschuldung in letzter Konsequenz auf Rechnung der großen Kapitalbesitzer, während die gegenteilige Austeritätspolitik nun mal direkt auf Rechnung des Durchschnittsbürgers und Schaffenden geht. Die Frage ist immer die Gleiche: Von wem soll die Schlussrechnung eines kollabierenden FIAT-Geldsystem bezahlt werden? Wenig verwunderlich ist, wenn sich Finanzlobby und Austeritätspolitiker in ganz Europa da ziemlich einig sind. Unten bezahlen, oben verdienen, logisch. Und da die Mehrzahl der Politiker schon keinen klaren Begriff davon haben, wie eine geschlossene Volkswirtschaft wirklich funktioniert, wie soll man es dem Bürger verübeln, der sich hier so ungeniert öffentlich verraten und verkaufen lässt?

Die BRD befindet sich nach wie vor am oberen Ende der Fahnenstange Europas, sowohl was Verschuldung aber auch positive Konjunktur angeht, denn beides hängt eng zusammen, und das lindert den Schmerz in der BRD noch erheblich. Aber nur vorläufig, denn uns geht es im Moment nicht so gut obwohl, sondern weil, es den anderen in (Süd-)Europa so schlecht geht.

Der Ausgang der Wahl dürfte vermutlich eine Fortsetzung der Rot-Grünen Koalition bringen, jedoch sicher ist das nicht, Entscheidend ist ob und wer von den kleineren Parteien den Sprung über die 5% Hürde schafft. Bei Grünen und Piraten ist das nach den letzten Umfragen ziemlich sicher, bei FDP fast sicher, und bei den LINKEN dagegen äußerst fraglich. Kämen alle dieser vier kleinen Parteien in den Landtag, so wäre es mit der klaren Mehrheit für Rot-Grün nämlich vorbei.

Nun, dann schaunmermal am Sonntag vor allen Dingen auf die kleinen Parteien. So ändern sich die Zeiten, von der "Qual der Wahl" kommen wir immer mehr zur "Wahl der Qual".