Samstag, 23. Februar 2013

Land ohne Volk: Die Europäische Idee.

BP Joachim Gauck hat seine erste große Rede gehalten, im Kreise geladener Gäste im Schloss Bellevue. Die Meinungen zu Inhalt und Qualität gehen wie üblich auseinander, ich persönlich habe die Rede ebenfalls nachgelesen und finde sie, den Umständen entsprechend, gar nicht schlecht. Natürlich, wer eine Revolution erwartet hätte, dürfte enttäuscht sein, aber es war eine Rede mit durchaus kritisch klaren Worte an die Adresse selbstverliebter Supereuropäer aus den oberen Etagen der Gesellschaft. Passend dazu der Titel „Rede zu Perspektiven der europäischen Idee“, die man auf seiner Homepage ruhig einmal nachlesen sollte. Die Frankfurter Rundschau schrieb zu seiner Rede: „...In einer europapolitischen Grundsatzrede beklagte Gauck am Freitag in Berlin eine Krise des Vertrauens. Der gegenwärtige Zustand des Kontinents sei nicht nur als Problem des Euro zu beschreiben - es gebe in der Bevölkerung einen deutlichen Unmut, der nicht ignoriert werden dürfe. Viele Bürger würden in einem Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit zurückgelassen. „Es gibt Klärungsbedarf in Europa, angesichts der Zeichen von Ungeduld, Erschöpfung und Frustration unter den Bürgern“, sagte Gauck ...Den Satz „Wir wollen mehr Europa wagen“, den er zu Beginn seiner Amtszeit gesagt hatte, würde er heute so schnell nicht mehr formulieren...“.

BP J. Gauck. Bildq.: Wikipedia, dts-nachrichtenagentur
 Mit seiner gut begründeten Nachdenklichkeit unterscheidet sich Gauck angenehm von BK Merkel: „......Während Merkel dazu neigt, ihre Wege der europäischen Krisenbewältigung, also vor allem das Sparen, als alternativlos zu betrachten, hält Gauck zu diesem Thema fest: „Wir wissen, dass es verschiedene ökonomische Konzepte gibt und nicht nur ein Weg zum Ziel führt.“ ...Er nimmt in seiner Rede Bezug auf das „Manifest zur Neugründung Europas von unten“, das der linke Soziologe Ulrich Beck und der grüne Politiker Daniel Cohn-Bendit initiiert haben. Auch das zeigt, er lässt sich in dem Amt das Recht auf freies Denken und Reden nicht nehmen....Im Präsidialamt finden sie auch, dass Gauck seine Sache gut macht. Einige meinen aber, es könnte noch besser gehen.... Die finden, dass ein Joachim Gauck, der doch bei seiner ersten Kandidatur von einer wahren Begeisterungswelle getragen wurde...dass dieser Joachim Gauck noch andere Akzente setzen müsste. Ein Zeichen in diese Richtung hat er gegeben, als er jüngst der Obdachlosenzeitung Straßenfeger ein Interview gab, als erster Bundespräsident überhaupt. Eine Sympathieerklärung an die Verlierer, die Ausgegrenzten, die von manchen Bedenkenträgern im Präsidialamt mit Kopfschütteln und Stirnrunzeln verfolgt wurde. Hätte er doch lieber der FAZ ein Interview gegeben! Auch die Einladungsliste für die Europarede war wie ein Signal zu verstehen: Keine Minister, kaum Politiker, aber Schüler, Studenten, Europa-Aktivisten....“.

Aber seine Rede enthält, nach Abzug der in „Europa-Reden“ üblichen gebetsmühlenartig gehäuften Devotionalien an Alles und Jeden der „großen Europäischen-Idee“, doch noch einiges mehr an Bemerkungen, die den Kern des Problems treffen. Natürlich werden diplomatisch weichgespült die Dinge mehr touchiert als gestochen, aber immerhin. Die Kernfrage ist doch, wo neben der „Europäischen Idee“, die sich ursprünglich auf eine Wirtschafts- und Friedensgemeinschaft bezog, nun das zu dem daraus entwickelten „EuropäischenTraum“ passende Volk eigentlich zu finden sein soll? Das so gar nicht einheitlich existiernde „Europäisches Volk“, eingeklemmt zwischen einer Machtelite, vertreten durch die Kommision, aus Bürokraten, Subventionsjägern und Investoren, die den „Europäischen Traum“ vor allen Dingen als eine persönliche Vermögensverwaltung für sich und ihre Klientel und Lobbyisten denken und verwalten, und einer grün-rosa Brillenträgerfraktion vor allen Dingen im Europa-Parlament, die in diesem Traum ihre postkommunistischen Vorstellungen einer sozial-ökonomisch-ökologischen Gleichmacherei vom Ural bis zur Straße von Gibraltar sehen und verwirklichen möchten.

Schauen wir also, was BP Gauck hierzu der Politik, aber auch seinen Bürgern,ins Gebetbuch schrieb:

Zunächst konfrontiert er die Zuhörer mit dem aktuellen Status Quo: „….So viel Europa war nie: Das empfinden viele Menschen besonders in Deutschland derzeit auf ganz andere Weise, zum Beispiel beim Blick in die morgendlichen Zeitungen. Da begegnet uns Europa meistens verkürzt auf vier Buchstaben – Euro - oder als Krisenfall. Immer wieder ist von Gipfeldiplomatie die Rede und von Rettungspaketen. Es belastet. ... In einigen Mitgliedstaaten fürchten die Menschen, dass sie zu Zahlmeistern der Krise werden. In anderen wächst die Angst vor immer schärferen Sparmaßnahmen und sozialem Abstieg. Geben und Nehmen, Verschulden und Haften, Verantwortung und Teilhabe scheinen vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr richtig und gerecht sortiert in der Gemeinschaft der Europäer. Hinzu kommt eine Liste von Kritikpunkten, die schon seit langer Zeit zu hören sind: der Verdruss über die sogenannten Brüsseler Technokraten und ihre Regelungswut, die Klage über mangelnde Transparenz der Entscheidungen, das Misstrauen gegenüber einem unübersichtlichen Netz von Institutionen und nicht zuletzt der Unwille über die wachsende Bedeutung des Europäischen Rates und die dominierende Rolle des deutsch-französischen Tandems. So anziehend Europa auch ist – zu viele Bürger lässt die Europäische Union in einem Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit zurück. Ich weiß es, ich höre es, ich lese es fast täglich: Es gibt Klärungsbedarf in Europa. Angesichts der Zeichen von Ungeduld, Erschöpfung und Frustration unter den Bürgern, angesichts der Umfragen, die mir eine Bevölkerung zeigen, die unsicher ist, ob unser Weg zu „mehr“ Europa richtig ist, scheint es mir, als stünden wir vor einer neuen Schwelle – unsicher, ob wir wirklich entschlossen weitergehen sollten. Die Krise hat mehr als nur eine ökonomische Dimension. Sie ist auch eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa. Wir ringen nicht nur um unsere Währung. Wir ringen auch mit uns selbst....“.

Und beginnt dann mit seiner persönlichen Kritik, zu Recht eingeleitet mit einem historischen Resümee: „...Für mich ist dieser Tag auch Anlass, neu und kritischer auf meinen euphorischen Satz kurz nach meiner Amtseinführung zurückzukommen, als ich sagte: „Wir wollen mehr Europa wagen.“ So schnell und gewiss wie damals würde ich es heute wohl nicht mehr formulieren. Dieses Mehr an Europa braucht zumindest eine Deutung, braucht Differenzierung. Wo kann und wo soll mehr Europa zu einem gelingenden Miteinander beitragen? Wie soll Europa aussehen? Was wollen wir entwickeln und stärken und was wollen wir begrenzen? Und nicht zuletzt: Wie finden wir für mehr Europa mehr Vertrauen, mehr Vertrauen als wir es derzeit haben?...Erinnern wir uns: Der Anfang war doch vielversprechend. Bereits fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlug Frankreichs Außenminister Robert Schuman seinen europäischen Partnern die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor. Frankreich und Deutschland wurden zu den großen Impulsgebern der europäischen Entwicklung – und aus ehemaligen Kriegsgegnern wurden Partner...Damals, 1950, war Jean Monnet der Ideengeber. Sein Ziel: die Sicherung des europäischen Friedens durch eine „Vergemeinschaftung“, die den Mitgliedern gleichzeitig rationalen Nutzen versprach. ...Wenn die Wirtschaft verschmilzt, verschmilzt irgendwann auch die Politik. ...Wo einst Staaten um Ressourcen und um die Hegemonie stritten, wächst Frieden durch gegenseitige Verflechtung..... Nur Schritt für Schritt sollte aus wirtschaftlicher Integration politische werden, aus immer größeren Feldern von Vergemeinschaftung schließlich ein gemeinsames Europa entstehen ...Heute sind wir nun allerdings gezwungen, diese Art des Vorgehens grundlegend zu überdenken. Weil Entwicklungen ohne ausreichenden politischen Gesamtrahmen zugelassen wurden, sind die Gestalter der Politik bisweilen zu Getriebenen der Ereignisse geworden.... Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Lagers etwa wurden zehn Staaten in die EU aufgenommen, obwohl das nötige Fundament für eine so große EU noch fehlte. Und so blieben bei dieser größten Erweiterung der EU die Fragen nach einer Vertiefung teilweise jedenfalls unbeantwortet. Als folgenschwer erwies sich auch die Einführung der gemeinsamen Währung. 17 Staaten führten im Laufe der Jahre den Euro ein, doch der Euro selbst bekam keine durchgreifende finanzpolitische Steuerung. Dieser Konstruktionsfehler hat die Europäische Union in eine Schieflage gebracht, die erst durch Rettungsmaßnahmen wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalpakt notdürftig korrigiert wurde....“.

Natürlich darf der „große Europäer“ Gauck nicht fehlen: „...Für mich ist jedoch klar: Selbst wenn einzelne Rettungsmaßnahmen scheitern sollten, steht das europäische Gesamtprojekt nicht in Frage.“. Na klar, dass musste sein, so oder so ähnlich kommt es in jeder Rede deutscher Politiker vor, obwohl schon eine Platitüde und Selbstverständlichkeit, ja Staatsräson, es muss in jeder „guten“ Rede nochmal betont werden, um ja nicht in die Bedrouille der vermeintlichen Europafeindlichkeit gerückt zu werden. Nicht anders als bei jeder „guten Rede“ über die USA oder Israel, ohne das weichspülende „ja aber“ usw. geht es einfach nicht, Kritik ja, aber bitte nicht wehtun, was hier jedoch auch dem speziellen Amte angemessen geschuldet erscheint.

Nun kommt er zum Kernthema: „….Was uns als Europäer allerdings auszeichnet, was unsere europäische Identität bedeutet, das wiederum bleibt schwer zu umreißen. Junge Gäste hier in Schloss Bellevue haben mir vor Kurzem bestätigt, was wohl viele hier im Saal auch kennen: „Wenn wir draußen in der großen, weiten Welt sind, dann empfinden wir uns als Europäer. Wenn wir in Europa sind, dann empfinden wir uns als Deutsche. Und wenn wir in Deutschland sind, na dann eben als Sachse oder Hamburgerin.“ Wir sehen dabei, wie vielschichtig Identität sein kann. ...Doch wie sieht es heute aus? Was bildet denn heute das einigende Band zwischen den Bürgern Europas? Woraus schöpft Europa seine unverwechselbare Bedeutung, seine politische Legitimation und seine Akzeptanz? ...Ich weiß, liebe Schülerinnen und Schüler im Saal, Ihr habt Eurer erstes Taschengeld in Euro erhalten, Ihr lernt mindestens zwei Fremdsprachen, .. Oft lernt Ihr schon miteinander in Europa, statt nur etwas übereinander zu lernen. ...Trotzdem stimmt natürlich, was oft moniert wird: In Europa fehlt die große identitätsstiftende Erzählung. Wir haben keine gemeinsame europäische Erzählung, die über 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union auf eine gemeinsame Geschichte vereint, die ihre Herzen erreicht und ihre Hände zum Gestalten animiert. Ja, es stimmt: Wir Europäer haben keinen Gründungsmythos nach der Art etwa einer Entscheidungsschlacht, in der Europa einem Feind gegenübertreten, siegen oder verlieren, aber jedenfalls seine Identität wahren konnte. Wir haben auch keinen Gründungsmythos im Sinne einer erfolgreichen Revolution, in der die Bürger des Kontinents gemeinsam einen Akt der politischen oder sozialen Emanzipation vollbracht hätten. Die eine europäische Identität gibt es genauso wenig wie den europäischen Demos, ein europäisches Staatsvolk oder eine europäische Nation...“.

Arminius: Kämpfer gegen kulturelle Unterdrückung und Steuerwillkür
Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Eine „Nation“ bildet wie jede Gruppe, seine Identität vor allem auf Grundlage gemeinsam durchgestandener Kämpfe und überwundenen Gefahren, erst in zweiter Linie dann auf eine gemeinsame Sprache, und zum dritten um eine gemeinsame Historie die sich auf den ersten beiden Bedingungen über Jahrhunderte aufbaut. Über nichts dergleichen verfügt das „Europäische Volk“ wirklich. Denn es waren seit Jahrhunderten keine gemeinsamen Kämpfe, sondern Kämpfe gegen einander, mit Verlierern und Gewinnern, von einer gemeinseman Sprache kan bei den mindestens 100 Sprachen und Hauptdialekten beim besten Willen nicht die Rede sein, und die gemeinsame Historie ist bestenfalls auf die Antike begründbar, wo griechische und römische Wurzeln, der aber damals schon entscheidende Gegensatz dieser zu den Nordöstlich gelegenen Germanen, Goten und Slawen, die dann endlich Rom kassierten und „Europa“ formten. So vom Osten her die Goten und Slawen, vom Nord-Westen her dagegen die Franken, Alemannen und Sachsen, alle untereinander von Anfang an mehr oder weniger verfeindete Konkurrenten. Besonders das Erbe der verfeindeten Westfranken (später Frankreich) und der Ostfranken (später Deutschland) spaltete Zentral-Europa von der Völkerwanderungszeit bis in die jüngste Geschichte, eben und da sind wir beim europäischen Traum angelangt, bis zur Gründung der EWG.

Mehr als zweitausend Jahre Geschichte, die in nur 50 Jahren vergessen gemacht werden soll. Durch einen schönen idealistischen Traum: „...Aber dennoch hat Europa eine identitätsstiftende Quelle – einen im Wesen zeitlosen Wertekanon, der uns auf doppelte Weise verbindet, als Bekenntnis und als Programm. Wir versammeln uns im Namen Europas nicht um Monumente, die den Ruhm der einen aus der Niederlage der anderen ableiten. Wir versammeln uns für etwas – für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Gleichheit, für Menschenrechte, für Solidarität. Alle diese europäischen Werte sind ein Versprechen, aber sie sind auch niedergelegt in Verträgen und garantiert in Gesetzen. Sie sind Bezugspunkte unseres gemeinsamen republikanischen Verständnisses – Grundlage dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben können. Die europäischen Werte öffnen den Raum für unsere europäische res publica.….“.

Nun schön wäre dass, aber es ist realitätsfremd. Insbesondere der Trauminhalt „...Grundlage dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben können...“ ist besonders angesichts der aktuellen Verteilungskrise die von der Europäischen Politik unter Deutscher Beteiligung gerade zu dreist verschärft wird, längst zur Farce geworden. Das Gerede von der Teilhabe ist bei Arbeitslosenquoten, insbesondere der Jugend im Süden von um die 50% und mehr, eine absurde Groteske.

Zum Ende wendet sich Gauck an die anwesenden „Exzellenzen“: „...Sehr geehrte Damen und Herren,unseren Wertekanon, den stellt glücklicherweise kaum jemand in Europa in Frage. Der institutionelle Rahmen dagegen, den sich Europa bis jetzt gab, der wird gerade intensiv diskutiert....Notwendige Anpassungen im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich im Euroraum hat die Politik jetzt glücklicherweise unter Druck vorgenommen. ...Ich habe eingangs in meiner Rede von einer Schwelle gesprochen: Wir halten inne, um uns gedanklich und emotional zu rüsten für den nächsten Schritt, der Neues von uns verlangt....Wir brauchen eine weitere innere Vereinheitlichung. Denn ohne gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik kann eine gemeinsame Währung nur schwer überleben. Wir brauchen auch eine weitere Vereinheitlichung unserer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, um gegen neue Bedrohungen gewappnet zu sein und einheitlich und effektiver auftreten zu können....“. Worte die man unter Europaenthusiasten nur zu gerne hört: Noch mehr Ämter, mehr Subventionen und fette Stellenkegel. Wer da nicht frohlockt und die Eingangssätze schnell wieder vergisst, der hat in Brüssel wenig verloren.

Aber es gibt ja noch die Anderen, über die man gerne, mit denen man aber praktisch nie redet: „... Wir haben inzwischen starke Zivilgesellschaften. Ohne die Zustimmung der Bürger könnte keine europäische Nation, kann kein Europa wachsen. Takt und Tiefe der europäischen Integration, sie werden letztlich von den europäischen Bürgerinnen und Bürgern bestimmt....“. Ich hoffe nur er meint damit nicht den europäischen Stimmzettel der alle paar Jahre ausgefüllt wird um dann mit einem unerklärlichen EU-Proporz-Schlüssel die Posten im EU-Parlament aus zu losen.

Und weiteres Seelenfutter, aber auch die darin eingewickelte Ermahnung, folgt für die „Exzellenzen“ Europas: „...Sehr geehrte Damen und Herren, mehr Europa fordert: mehr Mut bei allen! Europa braucht jetzt keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger, keine Zauderer, sondern Zupacker, keine Getriebenen, sondern Gestalter. Sie, Exzellenzen, die hier heute anwesend sind, Sie wissen, dass selbst mit einer besten pro-europäischen Haltung dennoch manche Bemühungen um Gestaltung ins Leere laufen können.... Eines der Hauptprobleme bei der Herausbildung einer engeren europäischen Gemeinschaft scheint mir die unzureichende Kommunikation innerhalb Europas zu sein. Und damit meine ich eigentlich weniger die Ebene der Diplomatie, als vielmehr den Alltag der Bevölkerung, richtiger der Bevölkerungen. ...Das Wissen über die Nachbarn ist immer noch gering – von einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Studierenden, Geschäftsleuten, Intellektuellen und Künstlern einmal abgesehen. Europa hat bislang keine gemeinsame europäische Öffentlichkeit, die sich mit dem vergleichen ließe, was wir national als Öffentlichkeit beschreiben. ...“.

Zum Schluss wird Gauck dann noch einmal richtig gut, da spricht der alte Fuchs der Revolutzer aus dem Predigtstuhl, da ist Gauck unübertrefflich, wenn es darum geht zur Revolution aufzurufen, ohne dass die „Exzellenzen“ gleich nach Staatssicherheit oder Verfassungsschutz rufen : „...Mehr Europa heißt für mich: mehr europäische Bürgergesellschaft. Ich freue mich daher, dass 2013 das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger ist. Ich würde nicht in allen Einzelheiten so weit gehen wie die Autoren des „Manifests für eine Neugründung Europas“, aber ich hege große Sympathien für die Überschrift, die sie über ihr Manifest gestellt haben und, unter der sich die Unterstützer sammeln. Sie lautet: „Frage nicht, was Europa für Dich tun kann, frage vielmehr, was Du für Europa tun kannst!“....Der Europäer Gauck hat – wenn er sich nun fragt, was er sich wünscht in dieser Situation – ein paar Antworten auf eine Liste geschrieben. Erstens: Sei nicht gleichgültig! Brüssel mag weit weg sein, aber die Themen, die dort verhandelt werden und beschlossen werden, sie gehen jeden an. Es darf uns nicht egal sein, wie die EU auf Standards Einfluss nimmt, die dann bei uns im Kinderzimmer oder auf dem Esstisch wirksam werden. Es darf uns nicht egal sein, welche Maßstäbe wir anlegen an die Außen-, Sicherheits-, Umwelt- und Entwicklungspolitik, die eben auch in unserem Namen stattfindet. ...Zweitens: Sei nicht bequem! ...Sie hat es verdient, dass ihre Bürgerinnen und Bürger Interesse zeigen und sich informieren. Sie hat es doch verdient, dass mehr als 43 Prozent der Wahlberechtigten an der Europawahl teilnehmen. ...Drittens: Erkenne Deine Gestaltungskraft! Ein besseres Europa entsteht nicht, wenn wir die Verantwortung dafür immer nur bei anderen sehen. Es gibt ja auch für uns so viele Möglichkeiten. Wer etwas anstoßen oder etwas verhindern will, der nutzt eine Europäische Bürgerinitiative.…..“.

Ja auch da hat er eben recht, der Bürger der bislang lieber „Dschungelcamp“ guckt anstatt für seine Interessen auf die Barrikaden zu gehen, der soll mal langsam aus den Puschen kommen. Das Land ohne Volk, dass seinen Ausverkauf den Lobbyisten der Finanzinstitute und Investmentgesellschaften, und den von diesen unter Druck, Abhängigkeit und Gehirnwäsche gesetzten Politiker überlässt, dieses Land sollte endlich mal ein Volk bilden. Ein für alle sichtbares „Wie sind das Volk“, anstatt einer nebulösen Idee der Eliten. „Sei nicht bequem“, und gehe endlich auf die Straße. Komme endlich in die Existenz als „Wir sind das Volk“, und nicht die lieben internationalen Investoren, wir gehen nach Brüssel und kämpfen gegen die Austeritätspolitik die nur einem nützt, dem anonymen Investor eben.

Wie sagte er kurz vorher denn noch passend: „... Gründungsmythos, Entscheidungsschlacht, in der Europa einem Feind gegenübertreten, siegen oder verlieren, aber jedenfalls seine Identität wahren konnte, im Sinne einer erfolgreichen Revolution, in der die Bürger des Kontinents gemeinsam einen Akt der politischen oder sozialen Emanzipation vollbracht hätten....“. Genau dieser Akt ist fällig, ja überfällig. Es reicht nicht wenn in Griechenland oder Spanien vereinzelte Grüppchen protestieren. Erst wenn das eine Europäische Dimension bekommt, wenn sich das „Volk“ zu einem „Wir sind das Volk“ zusammenfindet und die „Entscheidungsschlacht“ vor den Toren des ESM und Co. führt, wo es siegen oder verlieren, aber jedenfalls seine Identität wahren kann. Nur „könnte“, muss man bisher allerdings sagen, wenn es denn endlich aus dem Schlaf erwachte.

Zum allerletzten bringt er dann noch etwas die in Balsam eingelullte Ermahnung der "Supereuropäer" in eigener Sache: „...Wichtig ist mir auch der Dank an unsere deutschen Politikerinnen und Politiker, die ihre nationalen Aufgaben mit unseren europäischen Verpflichtungen verbunden haben. Besonders danke ich dabei an die, und besonders danke ich ihnen, die beim Begriff Solidarität nicht allein die Sorge um den Besitz der Besitzenden angetrieben hat....Wir werden wohl innehalten vor einer Schwelle, werden neu nachdenken. Werden aber dann mit guten Ideen und guten Gründen Vertrauen erneuern, Verbindlichkeit stärken, und werden weiter bauen, was wir gebaut haben – Europa.“ Manche Publizisten beklagen, dass es der Rede Gaucks an großen Sätzen gefehlt habe, so etwa wie in Wulffs Rede das Wort vom „der Islam gehört zu Deutschland“.

Sternmarsch nach Brüssel

Nun, mir bleibt der Schlusssatz jedenfalls durchaus in Erinnerung: „Besonders danke ich dabei an die, und besonders danke ich ihnen, die beim Begriff Solidarität nicht allein die Sorge um den Besitz der Besitzenden angetrieben hat“. In der Tat, ein Satz der auf viel zu wenige Politiker im mehr als Halbmilliarden-Volk der Europäer zutrifft. Wir "Europäer“ sollten Gauck's Wink mit dem Zaunpfahl langsam mal ernst nehmen. Und dem bislang völlig abstrakten Europäischen Volk ein Gesicht geben. Ein Gesicht das man dringend in Brüssel zeigen muss. Nur wenn das Volk sich formiert und damit seine eigene Identität ein Stück voranbringt, wenn es nämlich in der Gemeinschaft erstmals seine unmittelbaren Interessen zeigt und durchsetzt. Eine Identitätsstiftende Handlung unternimmt, etwa einen gigantischen Sternmarsch der Benachteiligten, der Austeritätsopfer und Arbeitslosen, der Enteigneten Häuslebauer, den um ihre Lebensperspektive gebrachten Jugendlichen aller EU-Länder. Nach Brüssel, wo sich dann nicht nur kleiner bemitleidenswerte Protestgrüppchen von vielleicht ein paar hundert Leuten unter lauter Touristen verlieren, sondern wo wenigstens eine Million EU-Bürger mit einer Stimme in hundert Sprachen formuliert: „Wir sind das Volk!“

Mittwoch, 6. Februar 2013

ZDF II – Staatsschulden: Die Rückzahlung

Der Weltkrieg macht mächtige Fortschritte. Wie war das noch gleich vor hundert Jahren? 2. Februar 1913: Beginn des Ersten Balkankrieg zwischen Bulgarien und dem Osmanischen Reich; 18. Februar 1913: In Mexico stürzt General Huerta mit US-Hilfe das Regime Madero und lässt ihn einen Tag später ermorden. Damit geht die erste Phase der Mexikanischen Revolution zu Ende. Und so gehen im Laufe des Jahres 1913 die Ereignisse u.a. auf dem Balkan weiter um im Folgejahr in den Weltkrieg zu münden. Die Phase der Stellvertreterkriege findet man im Vorfeld jeden Weltkrieges, die scheinbar schicksalhafte Häufung pflastert den Weg, dessen Ursache aber im Aufstieg der neuen Weltmächte und im Zerfall der alten liegt: Großbritannien, 1900. Mächtige Interessengruppen aus Wirtschaft und Politik kamen zur der Ansicht, dass die Bildung eines „formellen“ Imperiums nötig sei, um den Bedeutungsverlust auf den Weltmärkten aufzuhalten. 

Der neue britische Imperialismus entstand nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern war Folge der Angst vor dem wirtschaftlichen Bedeutungsverlust. Um die Jahrhundertwende nahmen die Befürchtungen zu, Großbritannien werde nicht mehr in der Lage sein das gesamte Empire zu verteidigen. Das Deutsche Reich hatte einen rasanten Aufstieg hinter sich, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich, und galt nun als wahrscheinlichster Gegner in einem künftigen Krieg. Großbritannien schloss daher neue Allianzen: so 1902 mit Japan sowie mit den Erzfeinden Frankreich 1904 und Russland 1907. Die Kriegserklärung Großbritanniens und seiner Alliierten an das Deutsche Reich zum Ersten Weltkrieg zog auch die Kolonien hinein. Die meisten deutschen Besitzungen wurden rasch eingenommen. Gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrages von Versailles (1919) wurden die Kolonien des Deutschen Reiches und des verbündeten Osmanischen Reiches (Türkei) unter den Alliierten aufgeteilt. Großbritannien erhielt u.a. die Kontrolle über Palästina, Jordanien und den Irak. 




Der Jubiläumstermin 1. August 2014 dürfte mit etwas „Glück“ also auch dieses Jahrhundert wieder gut eingehalten werden. Die Franzosen holen derzeit, seit dem 11. Januar 2013, in Mali für Europa, die USA und Israel die Kohlen aus dem Feuer. Die Koalitionen sind diesmal ganz andere, aber das Grundprinzip bleibt erhalten, und hier spielen wie immer die Schulden des Einen und die Vermögen der Anderen eine ganz entscheidende und gerne verdrängte Rolle. In diesem Artikel wollen wir uns also erst einmal weiter mit den Schulden, speziell mit den Staatsschulden beschäftigen. Speziell die im ersten Beitrag Zahlen-Daten-Fakten noch offen gebliebenen Fragen:
  • Kann man sie zurückzahlen? Kann man sie abbauen?
  • Gibt es eine „Schuld“? Wenn ja, bei wem?
  • Geht es denn auch anders?

Schauen wir zunächst also ganz unpolitisch auf die nackten Zahlen: Zunächst einmal auf den bekannten Umstand, dass der Kapitalkoeffizient K/Y, also das Verhältnis der Vermögen zum BIP seit 1950 stetig angewachsen ist. Von ursprünglich etwa 35% auf zur Zeit etwa 330%, im Verhältnis also fast ein Verzehnfachung. Während in der Wirtschaftswunderzeit anfangs pro 1 Euro Zunahme des BIP nur knapp 40 Cents an Vermögen und Schulden hinzukamen, so ist es inzwischen genau umgekehrt: Jeder Euro des BIP ist mit mehr als drei Euro Schulden belastet. Im Schnitt versteht sich, wovon knapp 1 Euro Staatsschulden und etwas mehr als 2 Euro privater Schulden anfallen. Manch einen wird’s wundern: Ja, Wachstum erzeugt Schulden, und zwar grundsätzlich und mehr als es selber wächst. Warum ist das so? Nun, ganz einfach: BIP-Wachstum schafft nicht nur Produkte, sondern natürlich auch Vermögen. Und da die Vermögen des Einen immer nur durch die Schulden des Anderen gedeckt sind, müssen unabdingbar auch die volkswirtschaftlichen Schulden wachsen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ein Umstand der zwar völlig klar ist (siehe auch die Graphik der Bundesbank), die aber offensichtlich im Berliner Umfeld etwas abhanden gekommen zu sein scheint.



Noch erschreckender werden diese Zahlen allerdings, wenn man den sogenannten Marginalen Koeffizienten betrachtet. Denn diese geben die Antwort auf die noch wichtigere Frage, wie sich die Schuldenstände im zeitlichen Verlauf ändern. Als erstes betrachten wir die marginalen Koeffizienten der Schuldenentwicklung, also die Koeffizienten (dAktiva/dt) / (dBIP/dt), kurz dAkt./dBIP sowie die entsprechenden Koeffizienten dKred./dBIP der Kredite an inländische Nichtbanken und den Koefiizienten dND/dBIP für ND=National Debt= Staatsschulden jeweils für die BRD nach den offiziellen Daten der Bundesbank berechnet.


Was wir hier sehen ist der Umstand, dass mit dem BIP-Wachstum auch die Schulden wachsen. Wachsen müssen, denn die Schulden des Einen sind immer die Vermögen des Anderen. Allerdings hat diese Koeffizient in der letzten Zeit heftig zugenommen. So mussten zuletzt schon zwischen 5 bis fast 20 Euro neuer privater und öffentlicher Schulden aufgenommen werden um überhaupt nur noch einen einzigen Euro Wachstum zu erzeugen. Ein krasses Missverhältnis.


Die Daten werden insbesondere mit Eintritt der krisenhaften Zeit Ende der 90er-Jahre etwas zappelig, da dass System ins Ungleichgewicht gerät. In obigen Bild sind daher die Trendlinien eingezeichnet (lineare Regression) die sich aus den realen Daten ergeben. Wie man sieht ist „sparen“ durch Wachstum schon seit längerem unmöglich. Und zwar nicht nur im Gesamtvolkswirtschaftlichen Durchschnitt, sondern auch bei nur der klassischen Teilkapitalbetrachtung: Selbst wenn man nur das Kreditvolumen nimmt oder auch nur die Staatsverschuldung, mit jedem Stückchen frischem Wachstum wächst der Schuldenberg um ein noch etwas größeres Stück.

Als nächstes schauen wir uns die Kehrwerte an, es sind dann die marginalen Koeffizienten der Kapitaleffektivität, also dBIP/dAkt., dBIP /dKred. und dBIP/dND. Sie sagen aus, wie effektiv die Wirkung von Kapitaleinsatz ist, also wieviel neue Euro BIP pro neue Euro Kapital erzeugt werden. Im Englischen spricht man auch von „marginal productivity of debt“.


Die Graphik wirkt etwas „unruhig“, was daran liegt dass insbesondere der Koeffizient bezüglich der Kredite in die Realwirtschaft ab dem Jahr 2000 ein chaotisches Verhalten zeitigt. Denn, dass zeigt ein Blick auf die (relativen) Realzahlen am Anfang, die Menge der in die Realwirtschaft vergebenen Kredite erreichte Anfang 2000 einen Höchstwert von 146,7% und ist seitdem rückläufig und beträgt zur Zeit nur noch 121,7%. Darunter sehen wir den Koeffizienten bezüglich der volkswirtschaftlichen Gesamtschuld. Dieser geht stetig gegen und unter Null. D.h. Während am Anfang der Volkswirtschaft noch 2 bis 3 Euro Wachstum mit nur einem Euro Kapitaleinsatz erzeugt wurde, waren es seit Mitte der 70er-Jahre nur noch um die 50 Cents undliegt inzwischen bei und unter Null. Am Ende wird frisches Geld, so und gerade wie es zur Zeit von allen klammen Staaten zur Verfügung gestellt wird, sogar kontraproduktiv: Pro Euro neuem Kapital nimmt das BIP sogar ab. Der Effektivitätskoeffizient des Staates ist dagegen immer relativ hoch: Das liegt daran, dass der Staat lediglich umverteilt, er schafft das eingenommene Steuer und Abgaben Geld nämlich unmittelbar und praktisch zu 100% direkt ins BIP, wo es für Investitionen und auch für schnöden staatlichen Konsum verausgabt wird. Inzwischen ist insbesondere alleine die Staatsverschuldung überhaupt noch in einem Bereich der noch gerade als effektiv zu bezeichnen ist. Besser sieht man es in der folgenden Graphik:

Hier sind die Zahlen lediglich auf die Zeit seit 1978 beschränkt, ein wenig geglättet und die zuletzt erratisch-chaotischen Zahlen des Real-Kreditwachstums heraus genommen. Alleine die Staatsverschuldung lässt sich noch mit einer Effektivität von bis zu 1€ pro Euro BIP entschuldigen. Mit Krediten in die Realwirtschaft ist längst nichts mehr zu machen, denn diese ist bis Oberkante Unterlippe voll mit Krediten. Der Gesamtkoeffizient geht auch bereits unter Null, was die Kontraproduktivität jeglicher Finanzinstrumente alla ESM und Co. unterstreicht. Warum wird die Effektivität der Kredite in die Realwirtschaft nun bereits ab 2000 negativ? Einerseits ist das klar, weil damals mit fast 150% die Oberkante wirklich erreicht war.


Der tiefere Grund ist aber ein anderer, subtilerer: In 2000 sank das Geschäftsbankenmodell zum erstenmal unter die 50% Marke. Seit dem überwiegt das Bankeneigengeschäft zunehmend, inzwischen ist das Verhältnis bei etwa 62 zu 38 Prozentpunkten zu Gunsten des Investmentgeschäfts angelangt. Gleichzeitig reduzierte sich die Nachfrage in der Realwirtschaft nach Krediten von 147 auf heute knapp 127 Prozent. Woran liegt das? Im Prinzip ist das ganz einfach, es liegt daran, dass in letzter Konsequenz alle Renditen von Kapitalanlagen aus dem BIP bezahlt werden müssen. Nicht nur die direkten Kredite, was klar ist, sondern auch die Renditen von irgendwelchen dümmlichen Derivaten. Denn als letzter in der Kette des Bankenhandels muss irgend jemand ja den Schrott käuflich erwerben. Sei es nun das arme Oma'schen, dass man mit Lehman-Zertifikaten um ihr Erspartes bringt, oder Größenwahnsinnige Automobilhersteller, die sich mit Investments und Übernahmen verzocken. Jeder von diesen muss seine Verluste irgendwo substituieren, sei es beim Konsum von Gütern aus dem BIP, oder sei es im Falle des Unternehmers, der sich dann bei den Kosten für Investitionen und Krediten in sein Unternehmen zurückhalten muss. Alles dass schädigt unmittelbar das BIP und führt zu einer nachlassenden Nachfrage entsprechender Größe bei den Krediten in die Realwirtschaft. So stehen hier etwa 14% Abnahme im Realgeschäft (=1-127/147) ein Überhang von 12% aus dem Investmentgeschäft (=62-50) hinein ins Realgeschäft gegenüber. Rechnet man die konkreten Zahlen nach, so sieht man dass es ohne diesen Überhang heute etwa 156% solcher Kredite in die Realwirtschaft anstelle der tatsächlichen 127% gäbe.


Im letzten Bild sehen wir das Problem der abnehmenden Kapitaleffektivität noch einmal als linearen Trend über die Jahre 1950 bis 2012 dargestellt. Im Prinzip haben sich die Vermögenden seit etwa 2000 aus dem effektiven(!) Realgeschäft verabschiedet und nur der Staat ist noch der letzte rettende Anker, der noch ein bisschen Wachstum erzeugen kann. Allerdings nicht, wenn er zum Sparen gezwungen wird. Dann wird’s zappenduster wie in Griechenland. Auch wird es genauso zappenduster, wenn der Staat erst einmal die 100% Grenze der Verschuldung gerissen hat. Denn dann erreicht auch die obere rote Linie das Nullniveau. Weitere Kapitalinjektionen erhöhen dann den Druck nur weiter, selbst wenn man das Geld dass der Staat dann braucht nur noch einfach druckt.

Nun das Deutsche Wort „Schulden“ enthält sinngemäß bereits eine starke negative Wertung, nämlich dass hier jemand „schuld“ sei und eine „Schuld“ trägt. In anderen Sprachen klingt das etwa weniger dramatisch, so spricht man meist von Obligation (z.B. Schweiz) oder Liabilities (USA), also „Verpflichtungen“, was den Kern eigentlich besser trifft. Das im deutschen Bewusstsein tief verankerte Wort der Schuld(en) macht alleine es hier vielleicht schon schwerer mit der Geldpolitik so locker umzugehen wie anderswo, wo man ohne großes Federlesen Geld einfach in der gerade benötigten Menge druckt. Solange noch Papier und Farbe da ist, oder heutzutage eben ein bisschen Speicherplatz auf Magnetplatten, solange kann es eben auch keine „Finanzkrise“ geben. Was in der Tat stimmt, denn es ist eben keine Finanz- sondern immer nur eine Verteilungskrise der Ansprüche auf Leistungen, die sich aus den gedruckten Verpflichtungen ergeben.

Das deutsche Schuldrecht kennt viele Arten von Schulden, und was bei dem einen Schuld recht ist muss es bei einer anderen Art dann wieder nicht sein, jeder Jurist kann ein 12-bändiges Werk damit füllen und man käme immer noch nicht zu einer einheitlichen Ansicht. Grob kann man aber sagen: Die Schuld entsteht immer zwischen zwei Parteien, die sich gegenseitig zu irgend etwas verpflichten. Solche Verpflichtungen sind dann Schulden. Also zum Beispiel, sie beauftragen jemanden ihr Auto zu lackieren. Dann schuldet ihnen der Auftragnehmer die Lackierung und sie schulden ihm wiederum einen vereinbarten Geldbetrag dafür, sagen wir 2000 Euro. Soweit so gut. Was aber nun, wenn Sie die Rechnung mit einem ungedeckten Schüttelscheck bezahlen und anschließend mit ihrem letzten Besitz von Wert, nämlich ihrem frisch lackierten Auto, gegen den nächsten Brückenpfeiler rasen und das Zeitliche segnen? Na dann hat ihr Vertragspartner Pech gehabt und kann die 2000 Euro in den Wind schreiben. Es sei denn ein eventuell vertrottelter Abkömmling würde so dumm sein, das mächtig negative Erbe von Ihnen anzutreten. Andererseits hätten Sie mit dem Lackierer auch einen Vertrag machen können indem steht, dass nicht Sie sondern Müller's Lieschen um die Ecke die 2000 Euro zahlen soll, falls sie es nicht mehr können. Wobei das Lieschen natürlich nichts von ihrem Deal weiß und auch sonst nichts damit zu tun hat. Muss sie dann also zahlen? Natürlich nicht, denn solche Verträge zu lasten Dritter sind ungültig. Bei einer normalen „Schuld“ liegen die Inhaber der Schuldverschreibungen und die damit Verpflichteten, somit im allgemeinen sehr nahe beieinander. Bei Staatsschulden allerdings, am Ende einer langen Kette von Schuldenweiterreichungen, da liegen letztliche Anspruchsinhaber und letztlich Verpflichtete nicht nur weit auseinander, sie haben genau genommen gar nichts mehr miteinander zu tun.

Natürlich auch unnötig zu erwähnen, für Staatsschulden gelten solche naheliegenden Rechtslogiken selbstverständlich nicht. Selbstverständlich schließt man Staatlicherseits, insbesondere EU-seits, ständig Verträge zum Vorteil Weniger und zu Lasten Dritter, zahlt sie dann mit Schüttelschecks, und auch durch den gnädigen Tod können Sie sich als Dritter, und ihre Kinder und Enkel sogar als Vierter und Fünfter, nicht der entstandenen Schuldverpflichtung entziehen. Die Demokratie spielt dabei insbesondere eine erstaunlich unheilvolle Rolle. Ungewollt und ungeahnt, denn der Zusammenhang ist subtil, aber ausgesprochen wirksam. 

Der amerikanische Ökonom Michael Hudson beschreibt diese Rolleganz treffend: „...Debt has been the main dynamic driving these shifts [democracy to debt oligarchy, followed by aristocracy, tyranny and again democracy]– always with new twists and turns. ...Since the Renaissance, however, bankers have shifted their political support to democracies. This did not reflect egalitarian or liberal political convictions as such, but rather a desire for better security for their loans. As James Steuart explained in 1767, royal borrowings remained private affairs rather than truly public debts. For a sovereign’s debts to become binding upon the entire nation, elected representatives had to enact the taxes to pay their interest charges. By giving taxpayers this voice in government, the Dutch and British democracies provided creditors with much safer claims for payment than did kings and princes whose debts died with them. But the recent debt protests from Iceland to Greece and Spain suggest that creditors are shifting their support away from democracies. They are demanding fiscal austerity and even privatization sell-offs. This is turning international finance into a new mode of warfare. Its objective is the same as military conquest in times past: to appropriate land and mineral resources, also communal infrastructure and extract tribute. In response, democracies are demanding referendums over whether to pay creditors by selling off the public domain and raising taxes to impose unemployment, falling wages and economic depression. The alternative is to write down debts or even annul them, and to re-assert regulatory control over the financial sector...“

Die Pointe ist, das gerade die Demokratie der Finanzoligarchie ein Konstrukt zur Verfügung stellt, dass mit eleganter Perfidie das Werkzeug lieferte um die an Personen wie weltliche Fürsten locker gebundene Schulden, welche mit deren Tod auf Nimmerwiedersehen verschwanden, nun in ein an ein Abstraktum, dem demokratischen Wahl-Volk, gebundenes ewig lebendes Schuldverhältnis zu verwandeln. Demokratie, die „Herrschaft“ des Volkes, verwandelt in die Herrschaft des „Selbst-Schuld-Seins“, denn „ihr ward ja so blöd eure Herren selbst zu wählen“, und nun löffelt bitte die Suppe unter zur Verfügungstellung eures Nachwuchses auch aus. Was, wie wir noch sehen werden, allerdings prinzipiell unmöglich ist, und unweigerlich Finanzrevolutionäre von links bis rechts auf den Plan rufen wird und muss.

In der FAZ erschien schon 2011 ein Artikel von Hudson, dem im Grunde genommen wenig hinzu zu fügen ist und unbedingt des Lesens wert ist: „...Am einfachsten ist die europäische Finanzkrise zu verstehen, wenn man die Lösungsvorschläge betrachtet. Das ist der Traum eines jeden Bankers: ein Sack voller Geschenke, die bei einem demokratischen Referendum kaum Zustimmung finden würden. Bankstrategen haben gelernt, über ihre Pläne nicht demokratisch abstimmen zu lassen, nachdem die Isländer 2010 und 2011 es zweimal abgelehnt haben, der Kapitulation ihrer Regierung vor Großbritannien und den Niederlanden nach den massiven Verlusten isländischer Banken zuzustimmen. Und den Griechen, denen in diesem Herbst ein Referendum verwehrt wurde, blieb nichts übrig, als massenhaft auf die Straßen zu gehen, um ihren Widerstand gegen die von der Europäischen Zentralbank geforderten Privatisierungen zu zeigen....“

Denn, „...das Problem ist, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Die EZB verlangt den Verkauf von Staatsbesitz - Land, Wasser, Häfen - sowie eine Kürzung von Renten und anderen Sozialleistungen. Die „untersten 99 Prozent“ sind verständlicherweise empört, wenn sie hören, dass die Spitzenverdiener 45 Milliarden Euro allein in Schweizer Banken geparkt haben sollen und damit weitgehend für das Haushaltsdefizit verantwortlich sind. Dass normale Steuerzahler für Steuerflüchtlinge geradestehen sollen - und für die allgemeine Nichtversteuerung von Vermögen seit den Zeiten der Militärjunta -, sorgt natürlich für Wut. Wenn die Troika aus EZB, Europäischer Union und IWF verkündet, dass die Bevölkerung aufkommen müsse für das, was die Reichen sich nehmen, stehlen, am Finanzamt vorbeischleusen, so ist das keine politisch neutrale Haltung. Hier wird unfair erlangter Reichtum privilegiert....“

Und dafür stehen wieder, unter dreistem Bruch jeder Zusicherung dem deutschen Wähler gegenüber, unsere Granden gerade: „...Unionsfraktionschef Volker Kauder ist offen für Gespräche über die Bedingungen der SPD für eine Zustimmung zum Hilfspaket für Zypern. "Darüber können wird reden, wenn es soweit ist", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung (Montagausgabe) laut Vorabbericht....“. Zuerst wollte man gar nichts geben, dann hat die EU Zypern als systemrelevant eingestuft, jetzt wird natürlich gegeben, erstmal verhandelt man über Bedingungen, und selbst die wird man wieder über Bord werfen wenn es zum Schwur und Zahlen kommt. Dabei ist und bleibt klar, dass man in der Steueroase und Geldwaschanlage Zypern damit praktisch nur russische Mafiosi und sonstige Kriminelle vor Vermögensverlusten zu Rechnung Dritterschützt. Legal, Illegal, Scheißegal, EU-Regal.

Hudson weiter: „....Die Bezeichnung „Technokraten“ für die Administratoren einer derart undemokratischen Politik ist ein zynischer Euphemismus für Finanzlobbyisten oder Finanzbürokraten, die im Namen ihrer Auftraggeber als nützliche Idioten fungieren.... Diese Bürokraten sprachen von Stabilisierung der Zahlungsbilanz, öffneten zugleich den Markt und verkauften Exportbetriebe und Infrastruktur an ausländische Gläubiger....Dieser Weg wird nunmehr den Sozialdemokratien im Euroraum vorgeschrieben. Die Löhne sollen gekürzt, der Lebensstandard soll verringert werden und die politische Macht auf Technokraten übergehen, die im Auftrag großer Banken und Finanzinstitutionen agieren. …scheinbar weniger blutig, aber mit den gleichen Zielen wie bei den Wikingereinfällen vor mehr als tausend Jahren und beim Vorgehen der europäischen Kolonialmächte, die sich Land und Bodenschätze, Infrastruktur und andere profitable Einnahmequellen aneigneten. …“. Nützliche Idioten, die das Wohlwollen ihrer Lobbyisten auf Rechnung der Zukunft der Europäer verkaufen.

Wobei Hudson mit der Wortwahl der „Idioten“ noch sehr im Rahmen bleibt. Immerhin ist Dummheit ja kein Verbrechen, wer aber um die Dinge und Zusammenhänge weiß, und trotzdem als gewählter Volksvertreter so weiter gegen die Interessen der Völker handelt, der könnte irgendwann dann auch von weniger gemütlichen Zeitgenossen als „Verbrecher“ bezeichnet und behandelt werden. Wobei ich diese Bezeichnung selbst keinesfalls wählen würde, denn die meisten demokratischen Politiker sind, mal von notorischen Kriminellen wie Berlusconi abgesehen, wohl eher in der Situation des völlig Verzweifelten, der die Sinnlosigkeit seines Handelns zwar irgendwo erkannt hat, aber gleichwohl in der Lage des Frosches in der Milchsuppe ist, der weiter und weiter strampelt und darauf hofft, dass sich endlich ein Butterbällchen unter seinen Füßen bildet auf dem sie dem tödlichen Topf entfliehen können.

Eine Hoffnung, die im Märchen verhaftet bleiben wird, wenn man sein Verhalten nicht bald umstellt: „...Wenn der Euro kollabiert, dann deswegen, weil verschuldete Staaten der Eurozone Geld bezahlen müssen, das sie sich borgen müssen und nicht durch die Notenbank beschaffen können. Im Gegensatz zur amerikanischen und britischen Zentralbank, die Geld drucken und das Land vor der Insolvenz bewahren können, hat die EZB diese Möglichkeit nicht – dafür sorgen die deutsche Verfassung und der Vertrag von Lissabon....Es handelt sich im Grunde um einen Finanzkrieg, aber die Ziele sind die gleichen wie bei militärischen Eroberungen – zuerst Land und Bodenschätze, dann die öffentliche Infrastruktur, deren Nutzung kostenpflichtig gemacht wird, und schließlich andere staatliche Unternehmen oder Vermögenswerte...Dieser neue Finanzkrieg zwingt Regierungen, im Auftrag der Eroberer gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen....Die Ironie ist, dass die Verschuldung der PIIGS-Staaten vor allem auf die Nichtbesteuerung von Vermögen zurückzuführen ist. Eine weitere Verschiebung der Steuerlast wird die Lage dieser Staaten eher verschlimmern als stabilisieren. Aber Banken interessiert nur der kurzfristige Gewinn. Sie wissen, dass Steuern, die Grundbesitzer und Unternehmer nicht entrichten müssen, als Zinsen den Finanzinstituten zufließen dürften...“.

Kommen wir zum Fazit wieder auf die Ausgangsfragen zurück:
  • Kann man Staatsschulden zurückzahlen? Nein, Staatsschulden sind notwendig da sie einen ganz wesentlichen Teil der Geldschöpfung ausmachen. Der Staat übernimmt im Prinzip die Monetarisierung der Sparquote der Bevölkerung und tätigt damit Investitionen, aber auch Konsum, in die Infrastruktur und grundsätzlich auch per Konsum aus dem BIP. Mit einer Staatsqoute von 45% und über 1000 Mrd. Euro pro Jahr ist der Deutsche Staat der größte einzelne und wichtigste Arbeitgeber der Nation. Volkswirtschaftlich sind Schulden und Vermögen völlig identisch, ein volkswirtschaftlicher Schuldenabbau ist einzig und alleine durch Vermögens- gleich Schuldenvernichtung möglich. Sei es relativ oder absolut, dass ist mehr eine Geschmackssache.

  • Kann man sie abbauen? Kaum, man kann lediglich zwischen privaten und öffentlichen Schulden hin- und her rochieren. Denn die dann fehlenden Investitionen, aber auch der staatliche Konsum, müsste von Privaten übernommen werden. Aber die möchten damit „nur“ weiteres Geld verdienen, sie sind im allgemeinen weder am Gemeinwohl orientiert, noch bereit unangenehme und defizitäre Aufgaben zu übernehmen. Zumal Gewinn orientierte Private die arbeitende Bevölkerung über kurz oder lang noch stärker zur Kasse bitten würden, als es der Staat selbst tut. Und diese privaten Gewinne würden dann mit Vorliebe in Steueroasen verschoben und nicht, wie es der Staat zu praktisch 100% tut, wieder ins BIP injiziert. Der weit verbreitete Glaube, das Wachstum die aktuelle Krise heilen könnte, ist irrig. Im Gegenteil, Wachstum erhöht natürlich sowohl die Vermögen und damit auch notwendiger Weise die volkswirtschaftliche Verschuldung, einschließlich der Staatsverschuldung. Das ist grundsätzlich unabdingbar. Verschärft wird die Sache natürlich dadurch, dass inzwischen für jeden Euro Wachstum viel mehr Euros an zusätzlicher Verschuldung, ergo aber damit auch neue Vermögen einiger Weniger, aufzubringen sind.

  • Gibt es eine moralische „Schuld“ der Bevölkerung gegenüber den Kapitaleignern? Nein, es besteht keinerlei Schuld, weder der heute noch der in Zukunft arbeitenden Bevölkerung, die in der Vergangenheit aufgelaufenen Vermögen und Schulden zu bedienen. Zwar hat in der Vorkrisen-Vergangenheit fast Jeder in irgendeiner Weise vom System der sich auftürmenden Verschuldung profitiert, jedoch lag und liegt der Löwenanteil der Vorteile und der den Schulden äquivalenten Vermögen dieses Systems bei sehr Wenigen und einem immens wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Und Diese sind alleine durch die in der Vergangenheit angesammelten Sachwerte längst schon mehr als saturiert. Niemand kann auf solch einer Ebene noch einmal arm werden, egal ob durch Währungsreform oder noch so hoher Besteuerung. Gerade die jetzt zunehmende Flucht in Sachwerte, national wie international, führt zu einer verheerenden, im wahrsten Sinne des Wortes, Betonierung von Ungleichheit die auch durch eine unparitätische Währungsreform dann nicht mehr zu beseitigen ist. Daran könnte nur eine zusätzliche Boden- und Besitzreform etwas ändern. In der Regel wird diese Art von „Reform“ allerdings nur durch einen massiver (Bürger-, Welt-) Krieg realisiert.

  • Eine faktische Sippenhaft der Durchschnittsverdiener erweitert auf deren Abkömmlinge, die auf unabsehbare Zeit in Geiselhaft genommen werden, ist nicht nur sittenwidrig, es ist tatsächlich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist insbesondere in der sicheren Gewissheit der prinzipiellen Unbezahlbarkeit der systemimmanenten Verpflichtungen durch die arbeitende Bevölkerung eine eklatante Verletzung der Menschenrechte. Das träfe selbst dann zu, wenn man sich der irrigen Illusion unterwürfe, dass durch Wachstum, allerdings unter Verzicht des Bürgers auf den damit zusätzlich verdienten Wohlstand, innerhalb der nächsten Generation die Verpflichtungen der längst vergangenen Generation zu bezahlen wäre. 

  • Hat denn überhaupt Jemand „Schuld“ am ganzen Desaster? Nun ja, eigentlich so richtig niemand, oder eben alle ein bisschen mehr oder weniger. Das Desaster ist systemimmanent und regelmäßig wiederkehrend, und obwohl Ökonomen bereits in den 1930er Jahren die wesentlichen Ursachen bereits erkannt hatten, wollen die Menschen einfach nicht daraus schlau werden. Das sind einerseits natürlich die Teile einer pathologisch-raffsüchtigen Oberschicht der Gesellschaft, denen daran gelegen ist dieses unsinnige und nicht-nachhaltige System der Geldwirtschaft immer wieder zu erneuern und verbissen zu verteidigen. Es sind natürlich auch die Masse der Bürger, die nicht rechtszeitig auf die Beine kommen, um gegen das Absehbare zu demonstrieren und ihre Menschenrechte durchzusetzen. Ganz besonders betrifft es aber die Mittler zwischen diesen Schichten, die Politiker die sich überzeugte Demokraten nennen, aber wenn es darauf ankommt, dann doch zu feige sind gegen das Offensichtliche aufzustehen. Und jedes heutige Nein, „bis hier und nicht weiter“, schon morgen wieder mit einem Ja zum nächsten Geschenkpaket an irgendwelche antidemokratischen Ganoven zu übertölpeln. Demokraten, die sich von den Totengräbern der Demokratie am Nasenring durch die Arena zerren lassen, die kuschen vor der Parteiräson, vor dem Liebesentzug der Oberschicht, der Lobbyisten und Parteifinanziers, aber auch vor den Medien und dem Wähler. Es wird demnach vermutlich wieder so ähnlich enden wie 1933, als die Demokraten der Weimarer Republik völlig entnervt von der Unmöglichkeit das System zu heilen diese Aufgabe einem Ex-Postkartenmaler übertrugen, der fünf Jahre zuvor für kaum 2% der Wählerstimmen stand.