Freitag, 6. März 2015

Deja Vu – Der Korridor und der Weltkrieg

Das Stichwort “Korridor” sagt den jüngeren Lesern wahrscheinlich nicht mehr so viel. Tatsächlich war der fehlende Korridor nach Ostpreußen via Danzig  für Hitlerdeutschland einer der wesentlichen Stacheln im Fleisch, der zum Mitauslöser des Zweiten Weltkriegs wurde. Entstanden war die Frage als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs: Durch den Verlust von Westpreußen an das neu gegründete Polen war die unmittelbare Verbindung zum deutschen Ostpreußen abgerissen. Eine Versorgung hing ebenso an See- und Luftweg oder am zweifelhaften Gutdünken der polnischen Regierung, eine solche Landversorgung zu zulassen oder ggf. eben auch einfach zu unterbinden. Keine besonders schöne Situation für das wieder erstarkte Deutschland der Dreißiger Jahre, dass, allen Kriegsverlusten zum Trotz, Polen sowohl wirtschaftlich als auch militärisch der polnischen Armee haushoch überlegen war. Als es folgerichtig in 1939 endgültig zum offenen Krieg kam, waren gerade 21 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg vergangen.

Solche Militärfahrkarten mussten Deutsche Offizielle buchen, um auf dem Landweg nach Ostpreußen zu gelangen. Das gleiche Problem würden in Zukunft russische Truppen haben um auf die Krim zu gelangen. Das würde aber weder Putin noch dem Kreml noch der Armee passen.

Vorausgegangen waren unendliche Zugeständnisse, politisch, militärisch und territorial auf Kosten der deutschen Anrainerstaaten, die berüchtigte Appeasementpolitik Chambarlains und Co.: „...Im engeren Sinne steht der Begriff für die heute negativ bewertete Politik (policy of appeasement) des britischen Premierministers Neville Chamberlain und einer Gruppe britischer Politiker, der sogenannten Cliveden-Clique, die 1938 im Münchner Abkommen die Eingliederung des Sudetenlandes, später die gewaltsame Annexion Tschechiens, verbunden mit der Einrichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, auf dem Gebiet der damaligen Tschechoslowakei durch das Deutsche Reich toleriert hatten, um einen Krieg inEuropa abzuwenden. Damit führte Chamberlain die Außenpolitik seiner Amtsvorgänger Ramsay MacDonald und Stanley Baldwin fort. MacDonald hatte schon auf der Konferenz von Lausanne 1932 die Franzosen gedrängt, den deutschen Forderungen nach einerRevision des Versailler Vertrags nachzugeben, und gilt daher als „Vater“ der Appeasement-Politik. Einer der wichtigsten Grundgedanken der Appeasement-Politik war ein kollektives, vertraglich vereinbartes Sicherheitssystem der europäischen Staaten, das auf der Grundlage des Völkerbunds oder anderer internationaler Verträge geschaffen werden sollte. Zu den Verteidigern der Appeasement-Politik zählten daher auch Vertreter des europäischen Föderalismus wie Philipp Kerr....“. Und genützt hatte alles das am Ende nichts. Ganz im Gegenteil, jeder offensichtliche Sieg im Appeasement Handel für Hitlerdeutschland war nur Bestätigung und Aufforderung zu gleich, es noch wilder zu treiben.

Auch Russland hat kürzlich die gleiche Erfahrung machen müssen: Der Zusammenbruch der Sowjetunion  liegt nun gerade 24 Jahre zurück, als faktische Folge dass man den “Kalten Krieg” verloren hatte. Und verloren damit auch ihren direkten Einflussbereich, der ja schließlich bis zur Elbe einschließlich Magdeburg reichte. Ein Umstand, den die Jungen hierzulande unter 30 praktisch nicht mehr kennen, schon gar nicht als Teil ihrer Lebenserfahrung. Und diese Grenze stellte damit die quasi Russische Westgrenze dar, nicht ganz offiziell, aber eben faktisch. Zudem hat Russland durch den Zerfall der Union auch seine eigenen Landesgrenzen zersplittern müssen. Mit der Folge, dass nun definitiv sogar gleich mehrere Korridore entstanden. Aktuell eben die Krim, aber natürlich auch Kaliningrad auf dem Baltikum und Transnistrien auf dem Balkan. Und wie immer wenn eine tief gekränkte Ex-Weltmacht nach dem Verlust eines Krieges Land- und Einflussverluste kassieren musste, und fehlende Korridore schmerzen, da braucht es halt nur einen kaltschnäuzigen Revanchisten, der all den schon scheinbar kalt gewordenen Kaffee wieder auf Hochtemperatur bringt.

Der Zweite Minkser “Frieden”  vom 12. Februar 2015 hat entsprechend natürlich nie wirklich gehalten. Abgesehen von der Tatsache, dass der Waffenstillstand nach Abschluss der Verhandlungen zunächst, zumindest einigermaßen halbherzig, stattfand, nachdem(!) Russland sein vorläufiges taktisches Ziel erreicht hatte: Nämlich die Einschließung und Belagerung der ukrainischen Truppen um Debalzewe erfolgreich zu beenden. Und so dient der zuletzt verzeichnete Abzug schwerer Waffen, ebenso so lala und nur zögerlich durchgeführt, auch keineswegs einer Beendigung der Kampfhandlungen.

Wäre Debalzewe für die Russischen Separatisten verloren gegangen, wäre ein zwei-Fronten Krieg für diese entstanden. Es war klar das Minks II daher nichts an Putins Absicht eines Sieges in Debalzewe ändern würde. So wurde der Waffenstilstand dies bezüglich auch einfach von russisch-separatistischer Seite her ignoriert.

Was in Debalzewe anstand war tatsächlich ein möglicher Todesstoß für die Separatisten gewesen: Wäre der Schlauch bis zur Grenze durchgestoßen, dann wäre das Separatistengebiet in zwei Teile gespalten worden; ein nicht gewinnbarer Zweifrontenkrieg aus Separatisten Sicht. Es war klar das Putin und die Sepa's auf den Minskerfrieden solange “scheißen” würden, bis diese Sache für sie positiv beendet war. Aber nun geht es militärtaktisch genauso weiter, um natürlich den Spieß nun umzudrehen. Tatsächlich geht es lediglich um eine Umgruppierung. Ziel ist natürlich der Korridor zur Krim, eine conditia sine qua non für Putin. Denn ein so wichtiger Militärstützpunkt wie die Krim, die nur über See- und Lufttransport versorgt wird, ist ein teurer und wenig sinnvoller Spaß für die Russische Armee. Dieser Korridor wird nun definitiv in Angriff genommen.

Das aktuell begonnene russische “Großmanöver” auf der Krim, das offiziell bis Anfang April laufen soll, hat dabei nur einen Sinn: Die Bälde die notwendige zweite Front aufzumachen. Denn es ist klar, dass die Separatisten von ihrer jetzigen Grenze, kurz vor Mariupol die noch fehlenden rund 250 km ohne russische Hilfe nicht stemmen können. Selbst die ja bereits stattgefunden massive, und nur mühsam versteckte, Unterstützung durch reguläre russische Truppen dürfte dazu kaum ausreichen. Es sei denn Putin ginge voll und ganz aus der publizistischen Deckung und ungeschminkt mit seinen Truppen in die Ukraine hinein.

Was als nächstes geschehen wird ist so klar wie die berühmte „Kloßbrühe“: die zweite Front von Südwesten muss her, die Ukraine soll an zwei Fronten kämpfen müssen. Ein Kampf, den diese wiederum ohne die Hilfe der USA und NATO nicht gewinnen kann.

Mit seinem als „Großmanöver“ getarnten Aufmarsch sammelt nun Russland die benötigten Kampftruppen und schweren Waffen auf der Krim. Dazu braucht es etwa einen Monat, und die Separatisten brauchen diese Zeit ebenfalls zur Umgruppierung ihrer Kräfte. Was dann noch fehlt ist lediglich ein publizistisch zu verkaufender Grund, dass reguläre Russische Truppen dann die Nordgrenze der Krim überschreiten werden, um die Fronten mit dem Donbass zu schließen. Voila, der Korridor ist da.

Der Korridor zur Krim (grün gepunktet) kommt mit Sicherheit. Wie es weiter geht ist nicht sicher und hängt ganz wesentlich von der Reaktion der Nachbarstaaten und Bündnisse ab. Der Korridor zu Transnistrien wäre militärökonomisch keinesfalls mehr tolerabel, da die Ukraine den Zugang zur Küste verlieren würde. 
Auch wenn Putin keinen Grund mehr für diese Intervention braucht, denn diese wurde war schon vor einem Jahr beschlossen, wird er wieder die üblichen Register der Propaganda ziehen. Nicht um die NATO Militärs zu beeindrucken, die wissen schließlich längst wie der Hase läuft. Aber um die öffentliche Meinung in der EU flach zu halten, so dass eine offene militärische Unterstützung der Ukraine, und damit effektive Waffenlieferung und Personalgestellung, möglichst unterbleiben. Und daran bastelt man natürlich schon eifrig, die Zeit drängt: So ist es offensichtlich eine „Provokation“ das nun 300 US Militär-Berater in der Ukraine eingetroffen sind. So als wäre das im Verhältnis zur Krimokkupation und der massiven Proseparatistischen Einsätzen der russischen Armee im Donbass wirklich noch als bedeutungsvoll und “provokativ” zu verstehen. Reine Augenwischerei.

Aber man kann sich, so bald alles bereit für den Angriff ist, leicht vorstellen was da kommen wird: 

Dann wird man sowohl die zur Verteidigung notwendig positionierten ukrainischen Truppen und die ebenso notwendige mehr oder weniger große Unterstützung durch die NATO kaltschnäuzig als „nicht nachvollziehbare imperialistische Provokation“ des Westens brandmarken. So als hätte es nie ein Budapester Abkommen gegeben, wo insbesondere gerade auch Russland hoch und heilig die, im Zweifelsfalle selbstverständlich sogar atomare Garantie, für die territoriale Unversehrtheit der Ukraine abgegeben hätte. Die hat Russland nun kaltschnäuzig mit Füssen getreten, und auch die anderen Garantiemächte der NATO, indem sie eben bislang noch nichts wirklich brauchbares gegen diese elementare Verletzung eines zentralen Sicherheitsabkommens getan hat.

Wir werden also bald von Putin mit Dackelaugen erklärt bekommen, dass man ja nur auf diese „sinnlose Provokation“ reagieren müsse, um die akut bedrohten russischen Minderheiten vor dieser unverständlichen Agression schützen müsse. Etc. pp. Alles reichlich durchsichtig, aber gut genug um schon jetzt von der nach Frieden dürstenden EU aufgesogen zu werden. Zwei aktuelle und interessante Aussagen mögen hier einen Eindruck und etwas Klartext abgeben:

So aktuell der US Außenminster Antony Blinken: „...Je brüchiger das Minsker Friedensabkommen wird, desto empfindlicher trifft das US-amerikanische Störfeuer die deutsche Bundeskanzlerin. Während Angela Merkel ihr Mantra wiederholt, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt in der Ukraine gibt, wird auf der anderen Seite die Forderung nach Waffenlieferungen an die Regierung in Kiew lauter. …..Zugleich betonte Blinken die Verantwortung seines Landes für die Ukraine. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vernichtete die Ukraine ihre Atomwaffen. Im Budapester Memorandum sicherten ihr die sogenannten Garantiemächte im Gegenzug Schutz zu. "Wir müssen zu unserer Verantwortung stehen", sagte Blinken in Berlin. "Wir haben die Ukraine damals überzeugt, ihre Atomwaffen aufzugeben. Sie sagten: Wir wollen eine Garantie. Drei Staaten standen auf: Großbritannien, die USA und Russland. " Nun habe Russland die territoriale Integrität der Ukraine verletzt - und die anderen Staaten müssten handeln: "Was sagt das sonst aus in einer Zeit, in der wir versuchen, Nordkorea davon zu überzeugen, seine Atomwaffen aufzugeben, und den Iran, keine zu entwickeln?", fragte der Stellvertreter von John Kerry. Dabei müsse der Westen nun seine Stärken ausspielen: nämlich die Kosten für Russland zu erhöhen. Der strategische Verlust für Russland werde immer deutlicher, so Blinken: "Putins Verhalten hat dazu geführt, dass der Großteil der Ukraine geeinter und westorientierter ist als jemals zuvor, dass die europäischen Staaten nach Unabhängigkeit von russischem Öl streben, dass sich die russische Wirtschaft im freien Fall befindet und das Kreditrating auf Ramschstatus gesunken ist." Putin hat nun keine wirtschaftliche Karte mehr, die er ausspielen kann, um sein Volk hinter sich zu bringen. Er hat nur noch die 'Nationalistenkarte'", sagte der Vizeaußenminister. Das Problem mit dieser Karte sei folgendes: "Du musst sie immer weiter ausspielen, denn sobald du aufhörst, schauen die Leute auf und sehen, was um sie herum passiert ist."... Es gehe allein darum, Russland dazu zu bringen, die Aggression einzustellen. "Wir haben auf diesem Weg immer wieder Ausfahrten für Putin gebaut - aber er hat nur weiter Gas gegeben", so der Amerikaner..."

Die russische Politologin LilijaSchewzowa wirft in einem Focus-Interview Europa Naivität gegenüber Russland vor: „...Ausgerechnet Deutschland sei der Schlüssel dazu gewesen, dass Putin sein Machtsystem ausbauen konnte. Im Interview mit FOCUS Online erklärt sie, warum der politische Todeskampf des russischen Präsidenten bereits begonnen habe.… Lilija Schewzowa: .... Putin ist seit 15 Jahren an der Macht. Nach dem zu urteilen, was er die letzten zehn Jahre getan hat und was er gerade tut, geht es ihm vor allem darum, seine eigene Macht zu erhalten. Damit wiederholt er das Schicksal aller Kreml-Führer mit Ausnahme von Gorbatschow, der freiwillig gegangen ist: Wenn du den Kreml nicht rechtzeitig verlässt, begibst du dich in einen Todeskampf mit deiner eigenen Macht - und wirst letztendlich in den Flammen untergehen. ....Es geht nicht darum, Putin als den Bösen abzustempeln. Putin ist nicht böse. Er ist zu einem großen Teil auch selbst ein Opfer. Ebenso wie viele aus seinem Umfeld ist er eine Geisel des alten Systems. Er ist nicht frei in seinen Entscheidungen, weil er innerhalb des bestehenden Systems keine andere Wahl hat.

FOCUS Online:Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Putin seinen Kurs ändert Schewzowa: Wenn man jahrelang keinerlei Opposition zugelassen und damit das ganze Land zu einer Meinungswüste gemacht hat, kann man nicht einfach das Fenster öffnen und dem Wind erlauben, hereinzuwehen. Sobald Putin Opposition im Fernsehen zuließe, wäre er politisch tot. Weil er nicht an eine Wettbewerbssituation und an öffentliche Debatten gewöhnt ist. Er wäre nach einer Minute erledigt – und das weiß Putin. Aber er ist nicht bereit, zu gehen. Deshalb wird er weitermachen, bis er mit Pauken und Trompeten untergeht. Das ist unvermeidlich. Die entscheidenden Fragen sind: Wann? Und wie hoch wird der Preis sein, den wir dafür zahlen müssen? FOCUS Online:Was käme nach Putin? Schewzowa: Es ist zu früh, um das zu sagen. Noch haben wir Putin. Es könnte einen Putsch geben. Sicher ist nur: Früher oder später wird dieses anachronistische System im Kreml, das auf der Macht eines einzigen Mannes basiert, sterben. Es ist kein System des 21. Jahrhunderts. Wir beobachten bereits seinen Todeskampf – auch wenn wir nicht genau wissen, in welcher Stufe er sich befindet.

FOCUS Online:Wie sehen Sie Deutschlands Verhältnis zu Russland? Schewzowa: Ich habe den Eindruck, dass die intellektuelle Elite in Deutschland geteilt ist. Der eine Teil interessiert sich wirklich für das, was in der Ukraine passiert und die Aggression, die von Russland ausgeht. Der andere Teil versucht, die negativen Entwicklungen und deren normative Wirkung zu verdrängen. Ihr Mantra lautet: „Die russische Kultur ist der deutschen doch so nah und so weiter und so fort. Außerdem solle man bitte stets an den Zweiten Weltkrieg denken.“ Man könnte sie als Optimisten bezeichnen. Ich nenne sie bequem oder auch „Putins Ermöglicher“.….Das Schröder-Deutschland und auch das frühe Merkel-Deutschland waren nicht nur ein sehr wichtiger Wirtschaftspartner für Russland, sondern auch auf internationaler Ebene eine Schlüsselressource, eine Art Türöffner. Sogar nach dem Georgienkrieg hat man weiterhin an dem Ziel festgehalten, die Partnerschaft mit Russland zu vertiefen – obwohl im Kreml niemand an Modernisierung interessiert war. .....Die Deutschen und auch andere Europäer haben in den 90er-Jahren den Moment verpasst, an dem sie kritisch und hart gegenüber Russland hätten sein müssen. Damals hätten sie erkennen müssen, dass es in Russland nicht um Demokratie geht, sondern nur um Kooptation und den Export von Korruption – besonders nach Deutschland, Frankreich, England und in die Niederlande.

FOCUS Online:Als Erklärung für den Kurs der europäischen Regierungen nennen Sie Naivität…Schewzowa: Ich hoffe, dass es Naivität war. Denn sonst müsste ich annehmen, dass es nur um wirtschaftliche Interessen und Zynismus ging.….FOCUS Online:Was wünschen Sie sich von Deutschland? Schewzowa: Eine aktivere Politik mit Bezug auf Russland. Deutschland sollte seine Rolle als führende europäische Macht annehmen. Und es sollte sich eingestehen, dass ein Kompromiss mit Putin nicht funktioniert und der Westen bereit sein muss, den nächsten Schritt zu gehen. Das Problem dabei ist, dass es sehr viel Mut braucht, um zu erkennen, dass die Politik der letzten 20 Jahre und alle Illusionen über die Zeit nach dem Kalten Krieg falsch waren. Es handelt sich um ein kollektives Versagen. Aber Deutschland ist bereits auf dem richtigen Weg. FOCUS Online:Die deutsche Regierung betont stets, dass es keine militärische Option gebe. Schewzowa: Das ist falsch. Was im letzten Jahr in der Ukraine passiert ist, hat gezeigt, dass es eine militärische Option gibt. Und Russland hat durch seine Invasion bereits eine militärische Option gewählt. Dass die westlichen Führer nun behaupten, es gebe keine militärische Option, ist bizarr. FOCUS Online: Können Sie sich eine direkte militärische Konfrontation zwischen dem Westen und Russland vorstellen? Schewzowa: Vor einem Jahr hätten wir uns niemals vorstellen können, dass die Krim annektiert wird. Wir waren naiv und lagen falsch. Deshalb sollten wir das nicht wiederholen. Wir können nichts mehr ausschließen, weil es keine Spielregeln mehr gibt. Wir haben eine abweichende Welt betreten, und Europa muss das verstehen.....

Nur, was soll man wirklich tun? 

Militärisch nicht zu reagieren ist genauso riskant wie offen zu agieren. Ohne ernst zu nehmende Drohkulisse, 300 Militär-Berater und ein paar defensive Waffenlieferung sind das definitiv nicht, wird Putin keinen Gründe sehen an seinem Vormarsch und seiner Propagandataktik irgendetwas zu ändern. Wozu denn auch, wenn es so leicht ist und blendend funktioniert. Nur wenn die entgegenstehende Drohung so groß und ernsthaft ist, dass man auch im Kreml daran glaubt und die möglichen Kosten als zu hoch einschätzt, dann kann das überhaupt etwas bewirken.

So ist dass schon auf dem Schulhof mit den Drohungen gewesen wenn sich zwei streiten, und so kindisch geht es auch in der großen Welt später zu, was ja nicht von ungefähr kommt. Natürlich wird keiner in EU und NATO wirklich einen offenen Krieg mit den Russen provozieren wollen, auch wenn es die russische Propaganda suggeriert und diese insbesondere von der politischen Linken bereitwillig aufgesogen und repetiert wird. Es ist aber, ganz wie auf dem Schulhof, völlig hoffnungslos dem Streit mit dem starken Bösewicht auch dauerhaft auszuweichen. Selbst eine bereitwillige Unterordnung hilft mittelfristig nichts, im Gegenteil provoziert es nur den Durst nach dem Mehr. Tatsächlich muss man Stärke durch Gemeinsamkeit aufbauen und glaubhaft demonstrieren. Und wie auf dem Schulhof wird es meist erst dann geglaubt, wenn man ggf. auch unter Anwendung körperlicher Gewalt auf Augenhöhe dem Bösen Buben begreifbar macht. So ist das leider, Menschen sind so, und andernfalls geht man hoffnungslos unter. Es hilft auch nichts wenn man die schreckliche Jugend des bösen Buben, seine vielleicht schrecklich bösen Eltern oder die bemitleidenswerten äußeren Umstände usw. als Entschuldigung anführt. Es mag helfen den Bösen Buben zu verstehen, es ändert aber nichts an der praktischen Gewalt der man ausgesetzt ist und die ohne ausreichende Gegenwehr nicht nur kein Ende finden wird, sondern sogar noch weiter zunehmen wird. So auch in der realen Welt. Denn auch wenn Kriege, egal wo kaum etwas mit Religion oder gekränkten Stolz, sondern letztlich immer mit Bedürfnis oder Gier nach Ressourcen, Geld und Pfründen zusammenhängt, man kann es bejammern, aber es hilft einem nicht wenn man erst mal ins geladenen Kanonenrohr blicken muss.

Und das kann schon bald der Fall sein. Denn es gibt auch noch den Korridor nach Königsberg, quer durch das Baltikum oder Polen. Das ist noch lange nicht gegessen, selbst wenn man die Ukraine auf dem Altar Putins opfert. Ein ganz altes Dilemma des Friedlichen, da ist 2015 auch nicht anders als 1939.